Der Traum vom grenzenlosen Fliegen

Auf der größten Schanze der Welt geht es nicht nur um Edelmetall.
Wo sind die Grenzen beim Skispringen? Schlierenzauer und Kollegen nähern sich ab Donnerstag wieder der 250-Meter-Marke.
Der Traum vom grenzenlosen Fliegen

Johan Remen Evensen hat sich gut aus der Affäre gezogen: Bevor er als Weltrekordhalter überflügelt wird, machte er lieber gleich einen Abflug und beendete seine Karriere. Der Norweger hat am Montag sein Amt in Würden verlassen, niemand wird Evensen je streitig machen, dass er es war, der als erster Mensch der Welt auf Skiern über 240 Meter weit geflogen war.246,5 Meter – gesegelt und gelandet vor einem Jahr in Vikersund, auf der größten Schanze der Welt, wo ab Freitag im Skifliegen gekürt wird. Doch darum geht’s eigentlich gar nicht: Was ist schon eine goldene Medaille gegen den offiziellen Weltrekord? Gegen diesen Titel, der begehrter zu sein scheint als alle anderen Trophäen, die es im Reich der Schanzen zu gewinnen gibt? "Das ist das Größte, eine Stufe höher als ein WM-Titel", erklärt Armin Kogler, der vor drei Jahrzehnten selbst zwei Jahre lang die Nummer eins der Welt war (180 Meter).

Schillernd

Es gibt im Sport kaum eine Bestmarke, die so begehrt und glorifiziert wird wie der Weitenrekord der Adler-Menschen. So wie vor jedem olympischen 100-Meter-Finale Sportfans die Sehnsucht nach einer neuen Sternstunde im Hundertstelbereich packt, so pünktlich tauchen vor einer Skiflug-WM auf der größten Schanze der Welt die Fragen nach dem Rekord auf, nach den Grenzen des menschlich Springbaren. Ist die Zeit, ist der Bakken reif für einen neuen Höhenflug? Wer kann Johan Remen Evensen als König der Lüfte ablösen? Und fällt gar die magische 250er-Marke?

Überraschend

Walter Hofer kann die allgemeine Neugier und Sehnsucht gut nachvollziehen. Er war selbst einmal ein aktiver Weitenjäger, ehe er begann, sich als Renndirektor der FIS um den geregelten und sicheren Ablauf der Bewerbe zu kümmern. Er erinnert sich nur zu gut an die WM-Generalprobe im Vorjahr, die ein wenig aus dem Ruder gelaufen war. Die Schanze war neu umgebaut, die Erfahrungswerte fehlten, und plötzlich flog einer bis runter in die Grube. "Uns war es damals nicht möglich, durch den Anlauf zu steuern, ob einer 200 oder 240 Meter fliegt. Das geht nicht für einen reibungslosen Ablauf." Deshalb mussten die weltrekordsüchtigen Norweger den Bakken für die WM adaptieren. Der Schanzentisch wurde um einen Meter kürzer und flacher. Dadurch wird die Flugkurve höher, die Chance auf einen neuen Rekord geringer. "Uns geht es um Sicherheit und Chancengleichheit", sagt Hofer. Bei den Schanzen sind die Grenzen bereits erreicht. Die FIS erlaubt in Vikersund und Planica, wo ein letztes Mal umgebaut wird, kein weiteres Wettrüsten. Die 250-Meter-Marke also als Barriere? Bis hierher und nicht weiter? "300 Meter sind für einen Skiflieger möglich", behauptet Gregor Schlierenzauer. Sein Sponsor Red Bull hat die Vision einer Naturschanze, die solche Weiten ermöglichen soll.

So weit, so gut?

Für FIS-Direktor Walter Hofer wären Wettkämpfe auf solchen Schanzen sinnlos. "Diese Anlagen hätten solche Dimensionen, dass kein Zuseher vor Ort mehr was mitbekommen würde. Aber physisch ist das sicher machbar." Laut einer Untersuchung von Wolfram Müller ginge es sogar noch weiter. Der Universitätsprofessor von Human Performance Research in Graz verfasste 1997 eine Arbeit namens Skisprung-Utopie anhand einer fiktiven 400-Meter-Schanze. Seine Analyse: "Beim Skifliegen nimmt der Skispringer ab ungefähr 200 Metern einen fast konstanten Gleitwinkel ein. Vom Standpunkt der Physik und der Aerodynamik ist ein 400-Meter-Sprung nicht auszuschließen.“

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