Der Absturz der ÖSV-Adler

Austria's World Cup overall leader Gregor Schlierenzauer soars through the air during the second practice session for the third jumping of the 61st four-hills ski jumping tournament in Innsbruck, January 3, 2013. REUTERS/Kai Pfaffenbach (AUSTRIA - Tags: SPORT SKIING)
Überflieger Gregor Schlierenzauer überdeckt die aktuellen Schwächen und Probleme im österreichischen Skispringen.

Rümpfende Nasen treffen auf fragende Blicke, hängende Schultern wechseln sich ab mit ratlosen Mienen und zuckenden Achseln. Nichts deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass all diese Männer mit dem sichtlich hohen Frustpotenzial immer noch die Lufthoheit im Skispringen haben.

Der Absturz der ÖSV-Adler
Austria's Gregor Schlierenzauer reacts after the second jumping of the 61st four-hills ski jumping tournament in Garmisch-Partenkirchen, southern Germany, January 1, 2013. REUTERS/Michael Dalder(GERMANY - Tags: SPORT SKIING)
Zumindest auf dem Papier führen die österreichischen Adler – auch dank kräftiger Mithilfe von Überflieger Gregor Schlierenzauer – noch die Nationenwertung an, auf den Schanzen freilich, da präsentieren sich die selbst ernannten Super-Adler nun schon seit einigen Weltcup-Springen ungewohnt flügellahm.

Der letzte Bewerb in Zakopane dient als Beleg für den Abwärtstrend: Da war ein kränkelnder und geschwächter Schlierenzauer (Achter) immer noch der stärkste Österreicher; und da mussten die Talente Stefan Kraft (Elfter) und Michael Hayböck (15.) den rot-weiß-roten Totalabsturz verhindern.

Schattenfiguren

Die Turbulenzen hatten sich bereits bei der Vierschanzentournee abgezeichnet. Der Triumph und die Weltrekordjagd von Gregor Schlierenzauer überstrahlten allerdings die Schattenseiten dieser Tournee. Vor allem die Routiniers und Helden vergangener österreichischer Serienerfolge sehen seit Wochen ziemlich alt aus und befinden sich in ungewohnten Sphären.

Thomas Morgenstern etwa landete in den vergangenen sieben Saisonspringen nur einmal in den Top Ten. Nun droht dem Kärntner im Weltcup sogar der Rauswurf aus den Top Ten und der Verlust des fixen Startplatzes. Nur zur Erinnerung: Morgenstern war im November im Trikot des Weltcup-Leaders aus Lillehammer abgereist.

Sorgenkinder

Andreas Kofler ist noch so ein Sorgenkind aus dem ÖSV-Adlerhorst. Der Tiroler war mit zwei Saisonsiegen als erster Herausforderer von Schlierenzauer zur Tournee angereist, mittlerweile qualifiziert sich der 28-Jährige nicht einmal mehr für den Finaldurchgang (35. in Zakopane). Die Disqualifikation in Oberstdorf – zu weiter Anzug – hat Kofler völlig aus der Flugbahn geworfen.

Und weil auch Wolfgang Loitzl und Martin Koch diesen Winter nicht so recht ins Fliegen kommen wollen und sich zudem auch noch Manuel Fettner verletzt hat, steckt Österreich wenige Wochen vor der WM in Val di Fiemme in der Bredouille. Bei der derzeitigen Form der Leistungsträger scheint es unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich, dass die ÖSV-Adler ihre beeindruckende Gold-Serie – seit 2005 haben die Österreicher bei allen Großereignissen die Teambewerbe gewonnen – fortsetzen.

Sondertraining statt Sapporo

Als erste Gegenmaßnahme werden nun einige ÖSV-Springer die kommenden Weltcup-Bewerbe in Sapporo auslassen, ein Sondertraining soll den schwächelnden Routiniers wieder auf die Sprünge helfen.

Der Abwärtstrend der Würdenträger ist längst nicht das einzige Problem im österreichischen Horst. Seit Samstag, seit dem Sturz von Weltmeisterin Daniela Iraschko, sind die Sorgenfalten auf der Stirn von ÖSV-Sportdirektor Ernst Vettori noch länger: Die Steirerin fällt mit einem Kreuzbandriss sechs Monate aus. Die schwere Verletzung von Iraschko ist doppelt bitter, denn bei der WM auf der Schanze in Predazzo steht erstmals ein Mixed-Teambewerb (zwei Damen, zwei Herren) auf dem Programm. Mit Iraschko und Teamkollegin Jacqueline Seifriedsberger, die gestern beim Weltcup in Hinterzarten Dritte wurde, wäre Österreichs Team Top-Favorit auf Gold gewesen.

Der Absturz der ÖSV-Adler
"Jetzt ist zumindest im Mixed-Bewerb eine Medaille in weite Ferne gerückt", weiß Damen-Cheftrainer Harald Rodlauer. Denn hinter Iraschko und Seifriedsberger gibt’s ein großes Luftloch. „Man hat sich jahrelang nur auf die Daniela verlassen. Jetzt kriegen wir die Rechnung präsentiert.“

Vierschanzentournee-Sieger Gregor Schlierenzauer wird die beiden Weltcup-Bewerbe der Skispringer am Samstag und Sonntag in Sapporo (jeweils ORF eins) auslassen. Der Tiroler entschied sich nach Rücksprache mit seinem Hausarzt und seinem Betreuerteam, eine Wettkampfpause einzulegen. Eine Woche darauf bei den Skifliegen am Wochenende 26./27. Jänner in Vikersund möchte der 23-Jährige wieder dabei sein. Dann könnte er den Rekord an Weltcupsiegen einstellen oder sogar übertreffen.

Durch den Sapporo-Verzicht des zuletzt gesundheitlich angeschlagen gewesenen Schlierenzauer tritt das österreichische Team in der Olympiastadt 1972 lediglich mit Andreas Kofler, Wolfgang Loitzl und Michael Hayböck an. Der verantwortliche Coach vor Ort wird Co-Trainer Alexander Diess sein.

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