Suhonen: "Sport hat hier keinen Stellenwert"

Verband-Sportdirektor Alpo Suhonen kämpft um eine erfolgreiche Zukunft im österreichischen Eishockey.

Es war eine Überraschung als im Sommer 2012 Alpo Suhonen (64) den neu geschaffenen Posten des Sportdirektors im österreichischen Eishockey-Verband übernahm. Der Finne war im Jahr 2000 bei Chicago der erste europäische NHL-Headcoach, er war mitverantwortlich für den Aufschwung des finnischen Eishockeys und will jetzt in Österreich Entwicklungsarbeit leisten. Nach einem halben Jahr im Amt ist es an der Zeit, im KURIER Bilanz zu ziehen.

Sie waren der erste europäische Headcoach in der NHL. Wie haben Sie das geschafft?
Es war eine kontinuierliche Entwicklung. Die Kanadier wollten keinen europäischen Coach sehen. Aber sie wollten auch auch lernen. Die NHL war zu dieser Zeit eine Katastrophe. Die Europäer haben die NHL gerettet. Es hat kein ordentliches Training gegeben, nur die Hälfte der Spieler konnten richtig Eislaufen. Es war grausam, wie schlecht sie waren. Erst als sie von den Russen deklassiert worden sind, haben sie verstanden, dass sie eine neue Entwicklung brauchen. Die Erfahrung war sehr gut. Aber ich bin nicht sicher, ob nicht sie mehr bekommen haben, als ich von ihnen.

Wie ist Ihr Eindruck vom österreichischen Eishockey?
Ich war bei allen Klubs, beim Nationalteam, habe mit Trainern und Spielern gesprochen. Mir ist schon aufgefallen, dass man hier nicht richtig versteht, dass ein Turnier etwas anderes ist. Man muss die Energie einteilen, das Spielsystem muss smart sein. In der Liga kannst du dich voll verausgaben, weil du danach ein paar Tage Ruhe hast. Bei der WM geht das nicht.

Und Sie sind oft bei Sitzungen...
Wir haben Vorstandssitzung gehabt, Generalversammlung, Sitzungen im Austrian Hockey Board, Abstimmungsgespräche zwischen Liga und Verband, Präsidentensitzung. Und überall musste ich Berichte über meine Erkenntnisse abgeben.

Was haben Sie erzählt?
Es gibt Hardfacts. In diesen Belangen ist Österreich sehr weit weg. Wir haben wenig talentierte Spieler. Hauptberufliche Nachwuchstrainer haben wir praktisch keine. Die Qualität und die Quantität ist nicht genug. Und die Infrastruktur stimmt nicht. Es gibt 250 Hallen in Finnland, 300 in Schweden, 40 in Österreich. Wenn wir wollen, dass wir A-Status bei den Senioren haben wollen, müssen ihn wir auch bei der Unter-20 und der Unter-18 haben wollen. Dafür müssen wir viel ändern.

Sind solche Ziele überhaupt realistisch?
Warum nicht. Man muss nur daran arbeiten.

Man kann aber nicht 100 Eishallen in Österreich bauen.
Nein. Aber die Prozesse müssen in Gang gesetzt werden. Österreich hat einiges verschlafen. Nationen wie Norwegen und Dänemark haben wir vor zehn Jahren weggeschossen. Jetzt sind sie nicht mehr in Reichweite. Österreich war eines der besten Eishockeyländer. Was ist passiert? Das kann ich nicht beantworten. Jetzt kommt die wichtigste Sache: Hier redet man über Legionäre und das Punktesystem. Das Problem ist aber, dass die Klubs nicht genug mit jungen Spielern arbeiten. Die Leute hier wollen nicht hören, dass die Klubs hauptamtliche Nachwuchstrainer brauchen. Dann kommen auch wieder österreichische Spieler nach.

Aber kann man einen Klub dazu zwingen, der lieber einen billigen Legionär verpflichtet, weil er kurzfristig ein Ziel erreichen will?
Nein. Das interessiert mich auch nicht. Mit dieser Frage löst man unser Problem nie. Wir können nur besser werden, wenn wir mit den Klubs, den Jungen und der Nationalmannschaft arbeiten.

Vertreter mancher Vereine haben Jahre lang betont, dass sie die Interessen des Nationalteams nicht interessieren.
Das ist ja total falsch. Nationalmannschaften sind die die Premiumprodukte im nationalen Eishockey. Die einzige Lösung ist, dass wir beginnen mit österreichischen Spielern und österreichischen Coaches zu arbeiten. In Finnland wissen wir das. In den 60er-Jahren waren wir nicht Weltklasse. In den 70er-Jahren haben wir begonnen mit dem Nachwuchs zu arbeiten. Die Legionärsfrage beantwortet sich von alleine, wenn wir gut arbeiten.

Was wird sich demnächst ändern?
Alle Sitzungen waren bislang sehr positiv. Unser neues Programm wurde akzeptiert. Wir werden einen vollamtlichen Ausbildungschef haben, zwei hauptamtliche Nachwuchsteamchefs: einen für U18, und U20 und einen für U14, U16. Die Coaches werden zu den Klubs gehen und sich dort mit den Trainern abstimmen.

Wie wird in Finnland gearbeitet?
In Finnland sind Spieler des Unter-16-Teams 40 Tage zusammen und haben 17 Spiele pro Saison. Bis zur U20 steigert sich das auf 60 Tage und 31 Spiele. Das sind insgesamt 250 Tage und 100 Spiele, die Teamspieler in sechs Jahren im Nationalteam absolvieren. In Österreich sind es 118 Tage und 43 Spiele. Mehr muss ich nicht sagen. Pro Jahrgang haben skandinavische Nachwuchsspieler 600 Trainingsstunden pro Jahr. Österreicher kommen auf 250 Stunden. Eine solche Ausbildung kostet in Finnland pro Spieler 73.000 Euro für alle sechs Jahre. Das sind 1,6 Millionen pro Jahrgang.

Das wird in Österreich nicht finanzierbar sein...
Viele Leute hier sagen, wir wollen das nicht, es ist nicht möglich. Ich bin total überrascht. Die Sache ist ganz einfach: Wenn wir diese Sachen machen, werden wir in fünf, sechs Jahren Erfolg haben. Jetzt ist die Frage, wie wir das finanzieren können.

Sie betonen immer die Trainerausbildung.
Wichtig ist, dass die Coaches Österreicher sind. Wegen der Mentalität, wegen des emotionalen Feedbacks. Ausländer können nicht so gut mit Jugendlichen arbeiten, weil sie die Kultur und die ungeschriebenen emotionellen Gesetze nicht kennen.

Haben Sie auch Positives gesehen?
Überall wo ich hingehe, ist Eishockey eine wichtige Sportart. Österreich ist ein Schnee- und Eis-Land. Das ist nicht Griechenland. Ich war zum Beispiel in Feldkirch und habe mir die 2000er-Jahrgänge angesehen, da gibt es einen unglaublich talentierten Verteidiger. Aber was passiert mit diesen Jungen? Wenn sie die nächsten Jahre keine gute Ausbildung bekommen, dann ist es vorbei. Replay gibt es nur bei Videos. Öft höre ich, dass Talente faul sind. Das ist Blödsinn. Das ist nur ein Leadership-Problem.

2004 hat Österreich das letzte Mal den Klassenerhalt bei einer A-WM geschafft. Seither wird angekündigt, die Nachwuchsarbeit zu verbessern. Warum sollte es jetzt glaubwürdiger sein?
Ich habe gesehen, welche Programme die ehemaligen Teamchefs Herbert Pöck und Lars Bergström geschrieben haben. Ich weiß nicht, warum nichts gemacht wurde. Jetzt ist die letzte Chance. Die U20 hat in der B-WM zwei Mal im letzten Spiel den Klassenerhalt geschafft. Die U18 ist schon in der C-Gruppe. Und in der Liga spielen Ausländer. Und die meisten Coaches sind auch Ausländer. Das ist die letzte Möglichkeit. Wir müssen uns die Frage stellen: „Wollen wir das österreichische Eishockey retten?“ Oder wollen wir eine Entertainment-Liga, in der Coaches und Spieler kommen und gehen. Das ist auch möglich. Wie in der NHL. Aber dann gibt es immer weniger österreichische Spieler und immer weniger Jugendliche werden Eishockey spielen, weil es keine Perspektiven gibt.

Was kann der Verband kurzfristig verbessern?
Als kurzfristige Maßnahme wird es drei Mal pro Jahr Trainer-Workshops geben. Dabei werden alle Trainer der Erste Bank Liga und der Youngster-Liga zusammen kommen. Wir müssen lernen ohne Vereinsinteressen über Eishockey zu reden. Wir müssen über das Spiel reden. Die Nationalteamtrainer werden nach den Turnieren Berichte abgeben. Dann werden sich die Trainer auch gegenseitig respektieren.

Ist das gute Niveau der Liga ein Problem für die jungen Spieler?
Das Nationalteam ist derzeit Nummer 15 der Welt. Aber die Liga zirka an 10. Stelle. Es ist super, wenn Österreicher in die Liga kommen, spielen sie gleich auf hohem Niveau. Die Liga ist schon dort, wo die Nationalmannschaft sein sollte. Die letzte Sitzung mit den Klubpräsidenten war sehr gut. Jetzt müssen wir das Niveau halten, eine Junioren-Liga machen, eine U18-Liga und mit den talentierten Spielern arbeiten.

Wann können Sie Ihre Vorstellungen umsetzen?
Wenn alles klappt, dann können wir mit dem intensiven Programm und den Seminaren Ende Juli beginnen. Wir werden viele Baustellen haben.

Wie sehen Sie es, dass in Österreich 24-Jährige als Talente gesehen werden?
In Finnland sind die besten Spieler mit 18 Jahren bereit für die Profiliga. Die Entwicklungskurve ab 12, 13 Jahre ist sehr steil. Nach 18 wird sie sehr flach. Danach kommt die emotionelle, intellektuelle Entwicklung bis zum 25. Lebensjahr. Die guten Profis sind 22 bis 25. Dann hast du zehn Jahre auf höchstem Niveau. Es gibt viele Studien, was wichtig ist für einen Spieler von 10 bis 35 Jahre.

Worauf muss in der Ausbildung mehr geachtet werden?
Wenn du körperlich gleich stark bist, dann kommt es auf deine Fähigkeiten an. Wie viele Wiederholungen hast du im Training gemacht? Und dann: Wie oft hast du gespielt, damit du das Erlernte auch abrufen kannst? Interessant ist, dass Österreich sehr viele technisch gute Spieler hat. Aber sie können das nicht lange halten, weil sie zu wenige Wiederholungen im Training gehabt haben. Ein Pianospieler muss so viel an der Technik arbeiten, damit er beim Spielen nicht an die Technik denken muss. Sie können als Journalist nicht die Buchstaben auf de Tastatur suchen, Sie müssen sich darauf konzentrieren, was Sie erzählen wollen.

Es läuft also alles auf den Trainingsumfang heraus. Ist es realistisch, dass sich in dieser Hinsicht was ändert?
Nicht so wie in Finnland. In Finnland und Schweden hat jeder Verein ab der U10 hauptamtliche Trainer. Jeder Verein! Unser Plan kostet 500.000 Euro pro Saison für den Verband. Ist das viel Geld für die Garantie, dass wir mit Jungen arbeiten? Nein, das ist zum Kotzen! Österreich ist ein reiches Land. Österreich ist eines der besten Kulturländer auf der ganzen Welt. Die Musik, die Literatur, das Theater - ich liebe alles. Aber der Minister für Sport wird immer in irgendeinem Ministerium versteckt. Der Sport hat hier nicht seinen Stellenwert in Politik und Wirtschaft gefunden. Die Frage ist, wie viel investiert die Politik in die Kultur und wie viel in den Sport? Und ich meine nicht den Spitzensport. Es geht um die Breite. Die Kinder haben eine schlechte Kondition, sie essen schlecht, sie bekommen gesundheitliche Probleme. Das Geld, das in den Sport investiert wird, bekommt man durch geringere Gesundheitskosten und Sozialausgaben wieder zurück. Unser Programm ist auch eine Sozialarbeit. Denn alle Spieler werden den Sprung zu den Profis nicht schaffen. Wenn jemand sagt, dass man den Sport nicht braucht, dann wird man höhere Steuern bezahlen müssen, weil es mehr Kranke geben wird.

Zur kommenden WM: Man darf nicht davon ausgehen, dass Österreich in Helsinki den Klassenerhalt schafft, oder?
Der Modus mit den Achtergruppen wird uns entgegenkommen. Es steigt nur der Letzte ab. Wir müssen uns konzentrieren auf die richtigen Spiele. Das ist ein Turnier. Wir müssen nicht alle Spiele gewinnen, nur die richtigen.

Wie sieht es mit Einbürgerungen von Kanadiern aus?
Ich bin daran nicht interessiert. Österreicher sein ist eine Sache, dann für das Team spielen, eine andere. Das ist die Sache von Teamchef Viveiros. Er muss entscheiden, wie und mit wem gespielt wird. Wir unterstützen ihn. Aber er ist auch verantwortlich für das Resultat.

Am Dienstag ist Alpo Suhonen Interview-Partner im Podcast der Servus Hockey Night:
https://soundcloud.com/servustv-hockey-night

Olympia ist das erste große Ziel

Mit einem PR-Event beim Wiener Eistraum beginnt heute die Vorbereitung auf die Olympia-Qualifikation. Fans können sich ab 17 Uhr gegen Teamspieler im Eisstockschießen beweisen. Am Sonntag testet Österreich in Wien gegen Kasachstan. Kommende Woche geht es nach Bietigheim- Bissingen, wo im Vier-Nationen- Turnier mit Italien, Niederlande und Deutschland ein Ticket für Olympia 2014 ausgespielt wird.

Von 3. bis 14. Mai wird Österreich bei der WM der besten 16 Nationen in Schweden und Finnland vertreten sein. Die Gegner in der Achtergruppe in Helsinki sind: USA, Frankreich, Lettland, Deutschland, Slowakei, Finnland und Russland. Der Gruppenletzte steigt ab, die ersten Vier kommen ins Viertelfinale.

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