Wien: Stiefmütterliches Dasein für Randsportarten

Denn der wahre Härtetest folgt erst im Jänner. Dann sollen die Umwälztechnik und die Bäderhygiene des großen Beckens getestet werden.
Für Österreichs Wasserspringer scheinen internationale Erfolge angesichts der Trainingsbedingungen unmöglich.

Talent? Sicher. Unbändiger Wille? Unbedingt. Hohe Improvisationskunst? Natürlich. Auf keinen Fall waren die ansehnlichen Ergebnisse der Wasserspringer Constantin Blaha (4.) und Sophie Somloi (10.) zuletzt bei der EM in Rostock das Resultat eines funktionierenden Systems. Denn die Rahmenbedingungen in der angeblichen Sportstadt Wien sind für diese Spitzensportler weder EM-, noch WM- oder gar Olympia-würdig.

Wien: Stiefmütterliches Dasein für Randsportarten
epa03122714 Austrian diver Constantin Blaha competes in the Men's 3 Metre Springboard Dive off event at the FINA Diving World Cup held at the Aquatic Centre in the London 2012 Olympic Park, Stratford, London, Britain, 26 February 2012. EPA/GEOFF CADDICK
Dabei werden von höheren Stellen von Sportlern bei Großereignissen Erfolge und Medaillen gern gesehen und gewünscht. Betrachtet man jedoch vor allem in der Hauptstadt die infrastrukturellen Voraussetzungen für Spitzensportler, dann darf man sich nicht wundern, wenn Spitzenplätze deutlich außer Reichweite sind. Von Olympia-Touristen zu sprechen, wie in London 2012, wirkt für einige Athleten dann wie Hohn.

Einige Randsportarten fristen, was die Sportstätten betrifft, in Wien ein stiefmütterliches Dasein. Selbst im Fußball ist die Hauptstadt im internationalen Vergleich chancenlos. Egal, wo Rapid und Austria in den letzten Europa-League-Jahren hinreisten, fast in allen Städten standen modernere und schönere Arenen als in Wien.

Tauchstation

Den Wasserspringern steht das Wasser derzeit bis zum Hals. Zwar hat das Rumpf-Team die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro im Visier, doch von Medaillen ist man ähnlich weit entfernt wie das Fußballteam vom WM-Titel.

Veronika Kratochwil, Olympiateilnehmerin in Peking 2008 und mittlerweile Ex-Wasserspringerin, bekommt die Misere hautnah als ehemalige Sprungkollegin von Sophie Somloi mit. Die 17-Jährige Somloi gilt als großes Talent, das aber ohne gezielte Unterstützung den Sprung in die Elite nicht schaffen wird. „England sollte uns ein Vorbild sein. In Hinblick auf die Spiele in London hat man ein Konzept erstellt und verfolgt, jetzt schießen Wasserspringer wie die Schwammerl aus dem Boden. Bei uns steckt zu wenig System dahinter.“

Badeschluss

In Österreich wird einiges dem Zufall überlassen. Markus Rogan wurde in den USA und in Italien zum Top-Athleten, Mirna und Dinko Jukic wurden von ihrem Vater als Sportler geformt. „Wenn man die derzeitige Situation betrachtet, darf man sich keine guten internationalen Resultate erwarten“, meint Kratochwil.

Im Mai 2010 sperrte das Stadthallenbad, die Heimstätte der Wasserspringer, zu. Bis heute ist es nicht geöffnet, einen Termin gibt es weiterhin nicht. Dabei wurden die Wasserspringer gebeten, im Dezember 2012 bei der bevorstehenden Eröffnung eine Show zu zeigen. „Danach erhielten wir nie wieder einen Anruf“, lacht Kratochwil.

Die Springer müssen seitdem improvisieren und in andere Bäder ausweichen – ins Stadionbad, Amalienbad oder Ottakringer Bad. Oder sie werden vom Verband zu Trainingswochen mit Fördergeldern von Team Rot-Weiß-Rot nach Berlin geschickt.

Flickwerk

Sportstadtrat Christian Oxonitsch weiß um die infrastrukturellen Mängel. „Natürlich fehlt das Stadthallenbad als Heimstätte. So gut es geht, versuchen wir Alternativen zu schaffen.“ Doch die sind suboptimal. Im Stadionbad ist der Sprungbereich zwar abgesperrt, was die Badegäste aber nicht daran hindert, selbst Sprünge zum Besten zu geben. In der WM-Saison 2010 wurde Kratochwil von Badegästen sogar vom Brett gestoßen, zuletzt brach sie das Nachwuchs-Training ab, weil unzählige Leute einfach den Sprungturm stürmten und die Trainingsgruppe verscheuchten.

Im Ottakringer Bad wiederum ist der Sprungbereich räumlich dermaßen limitiert, dass die Athleten bei Schrauben-Sprüngen beinahe in der Glaswand nebenan landen. Aufwärmen müssen die Springer in Baucontainern, die, weil undicht, bei Regen unter Wasser stehen.

Überdies verfügt das Bad einerseits über eine sehr geringe Wassertiefe, dafür andererseits über eine Betonkonstruktion unter dem 3-Meter-Brett, die Sprünge mit Anlauf unmöglich macht, weil der Springer im Beton detonieren würde. Zumindest Verständnis und Bemühen um Abhilfe erhalten die Springer von der Pressesprecherin des neuen Sportministers Gerald Klug, Anja Richter. Die ehemalige Spitzensportlerin feierte bei Großereignissen durchaus große Erfolge im Einzel sowie in den Synchronbewerben mit Partnerin Marion Reiff.

Kompromisse und Behelfshallen statt Profibedingungen für Profisportler – die Turmspringer sind nicht die einzigen Athleten in Österreich, die von einem optimalen Trainingsumfeld weit entfernt scheinen. „Das ganze System vom Leistungssport gehört neu überdacht und überarbeitet“, sagt Caroline Weber.

Wien: Stiefmütterliches Dasein für Randsportarten
01.06.2013 Wien, Gymnastik, EM Rhytmische Gymnastik, Stadthalle Caroline Weber Copyright DIENER / Eva Manhart Marktgasse 3-7/4/5/21 A-1090 Wien Telefax +43 1 955 32 35 Mobil +43 676 629 98 51 BA-CA Bank Nr. 12000 Account Nr. 00712 223 783 e-mail: agentur@diener.at Datenbank: www.diener.at
Die rhythmische Gymnastin, die bei der EM in Wien im Mai ihre Karriere beendete, weiß wovon sie spricht. „Wir trainieren in einer Halle, die eigentlich zu niedrig ist, um die Geräte ordentlich zu werfen“, sagt die 27-Jährige, die bei den Olympischen Spielen in London 2012 Rang acht belegte über die Bedingungen in der Westside Soccer Arena in Hütteldorf und fügt hinzu: „Dabei ist das schon eine große Verbesserung.“ Zuvor hatten die Gymnastinnen, die 30 Stunden in der Woche trainieren, zwischen wechselnden Hallen pendeln müssen.

Kurios ist auch die Situation bei Österreichs Basketball-Meister BC Vienna: Die Wiener, die nach 21 Jahren den Titel wieder in die Hauptstadt holten, verfügen über keine eigene Halle, sondern tragen ihre Heimspiel in der Stadthalle B aus – sofern diese zur Verfügung steht. Für das entscheidende Finalspiel gegen Oberwart mussten sie nämlich auf ihren Heimvorteil verzichten und ins Schwechater Multiversum ausweichen. Der Grund: die EM der Rhythmischen Gymnastik. Bürgermeister Michael Häupl kündigte an, die Situation zu überdenken.

Katzenjammer

Auch in der Leichtathletik sind die Bedingungen vor allem im Winter start ausbaufähig. „Die Verfügbarkeit der Wettkampfstätten muss gegeben sein“, sagt der 1500-Meter-Spezialist Andreas Vojta. „Ich muss wissen, dass ich auf die Bahn kann und nicht wegen einer Katzen-Ausstellung im Schnee rennen muss.“

Verbesserungen und neun Millionen Euro mehr für die Verbände verspricht das neue Bundessportförderungsgesetz, das im Mai beschlossen wurde.

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