Wien: Stiefmütterliches Dasein für Randsportarten
Talent? Sicher. Unbändiger Wille? Unbedingt. Hohe Improvisationskunst? Natürlich. Auf keinen Fall waren die ansehnlichen Ergebnisse der Wasserspringer Constantin Blaha (4.) und Sophie Somloi (10.) zuletzt bei der EM in Rostock das Resultat eines funktionierenden Systems. Denn die Rahmenbedingungen in der angeblichen Sportstadt Wien sind für diese Spitzensportler weder EM-, noch WM- oder gar Olympia-würdig.
Einige Randsportarten fristen, was die Sportstätten betrifft, in Wien ein stiefmütterliches Dasein. Selbst im Fußball ist die Hauptstadt im internationalen Vergleich chancenlos. Egal, wo Rapid und Austria in den letzten Europa-League-Jahren hinreisten, fast in allen Städten standen modernere und schönere Arenen als in Wien.
Tauchstation
Den Wasserspringern steht das Wasser derzeit bis zum Hals. Zwar hat das Rumpf-Team die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro im Visier, doch von Medaillen ist man ähnlich weit entfernt wie das Fußballteam vom WM-Titel.
Veronika Kratochwil, Olympiateilnehmerin in Peking 2008 und mittlerweile Ex-Wasserspringerin, bekommt die Misere hautnah als ehemalige Sprungkollegin von Sophie Somloi mit. Die 17-Jährige Somloi gilt als großes Talent, das aber ohne gezielte Unterstützung den Sprung in die Elite nicht schaffen wird. „England sollte uns ein Vorbild sein. In Hinblick auf die Spiele in London hat man ein Konzept erstellt und verfolgt, jetzt schießen Wasserspringer wie die Schwammerl aus dem Boden. Bei uns steckt zu wenig System dahinter.“
Badeschluss
In Österreich wird einiges dem Zufall überlassen. Markus Rogan wurde in den USA und in Italien zum Top-Athleten, Mirna und Dinko Jukic wurden von ihrem Vater als Sportler geformt. „Wenn man die derzeitige Situation betrachtet, darf man sich keine guten internationalen Resultate erwarten“, meint Kratochwil.
Im Mai 2010 sperrte das Stadthallenbad, die Heimstätte der Wasserspringer, zu. Bis heute ist es nicht geöffnet, einen Termin gibt es weiterhin nicht. Dabei wurden die Wasserspringer gebeten, im Dezember 2012 bei der bevorstehenden Eröffnung eine Show zu zeigen. „Danach erhielten wir nie wieder einen Anruf“, lacht Kratochwil.
Die Springer müssen seitdem improvisieren und in andere Bäder ausweichen – ins Stadionbad, Amalienbad oder Ottakringer Bad. Oder sie werden vom Verband zu Trainingswochen mit Fördergeldern von Team Rot-Weiß-Rot nach Berlin geschickt.
Flickwerk
Sportstadtrat Christian Oxonitsch weiß um die infrastrukturellen Mängel. „Natürlich fehlt das Stadthallenbad als Heimstätte. So gut es geht, versuchen wir Alternativen zu schaffen.“ Doch die sind suboptimal. Im Stadionbad ist der Sprungbereich zwar abgesperrt, was die Badegäste aber nicht daran hindert, selbst Sprünge zum Besten zu geben. In der WM-Saison 2010 wurde Kratochwil von Badegästen sogar vom Brett gestoßen, zuletzt brach sie das Nachwuchs-Training ab, weil unzählige Leute einfach den Sprungturm stürmten und die Trainingsgruppe verscheuchten.
Im Ottakringer Bad wiederum ist der Sprungbereich räumlich dermaßen limitiert, dass die Athleten bei Schrauben-Sprüngen beinahe in der Glaswand nebenan landen. Aufwärmen müssen die Springer in Baucontainern, die, weil undicht, bei Regen unter Wasser stehen.
Überdies verfügt das Bad einerseits über eine sehr geringe Wassertiefe, dafür andererseits über eine Betonkonstruktion unter dem 3-Meter-Brett, die Sprünge mit Anlauf unmöglich macht, weil der Springer im Beton detonieren würde. Zumindest Verständnis und Bemühen um Abhilfe erhalten die Springer von der Pressesprecherin des neuen Sportministers Gerald Klug, Anja Richter. Die ehemalige Spitzensportlerin feierte bei Großereignissen durchaus große Erfolge im Einzel sowie in den Synchronbewerben mit Partnerin Marion Reiff.
Kompromisse und Behelfshallen statt Profibedingungen für Profisportler – die Turmspringer sind nicht die einzigen Athleten in Österreich, die von einem optimalen Trainingsumfeld weit entfernt scheinen. „Das ganze System vom Leistungssport gehört neu überdacht und überarbeitet“, sagt Caroline Weber.
Kurios ist auch die Situation bei Österreichs Basketball-Meister BC Vienna: Die Wiener, die nach 21 Jahren den Titel wieder in die Hauptstadt holten, verfügen über keine eigene Halle, sondern tragen ihre Heimspiel in der Stadthalle B aus – sofern diese zur Verfügung steht. Für das entscheidende Finalspiel gegen Oberwart mussten sie nämlich auf ihren Heimvorteil verzichten und ins Schwechater Multiversum ausweichen. Der Grund: die EM der Rhythmischen Gymnastik. Bürgermeister Michael Häupl kündigte an, die Situation zu überdenken.
Katzenjammer
Auch in der Leichtathletik sind die Bedingungen vor allem im Winter start ausbaufähig. „Die Verfügbarkeit der Wettkampfstätten muss gegeben sein“, sagt der 1500-Meter-Spezialist Andreas Vojta. „Ich muss wissen, dass ich auf die Bahn kann und nicht wegen einer Katzen-Ausstellung im Schnee rennen muss.“
Verbesserungen und neun Millionen Euro mehr für die Verbände verspricht das neue Bundessportförderungsgesetz, das im Mai beschlossen wurde.
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