Alaba, Schwarz, Shiffrin: Das Comeback beginnt im Kopf
Wie Top-Athleten nach schweren Verletzungen mit der Hilfe von mentalem Training wieder zurück an die Spitze finden. Ist #comebackstronger überhaupt möglich?
In Abwesenheit von Mikaela Shiffrin geht heute in Crans-Montana der alpine Ski-Weltcup weiter. Der US-Skistar ist nur einer der prominenten Namen auf einer langen Liste der Verletzten im Ski-Zirkus. Ihr Comeback nach drei Wochen Pause steht kurz bevor, während ihr Freund Aleksander Aamodt Kilde (Schulter und Unterschenkel), ebenso wie Marco Schwarz (Kreuzband) und viele andere noch einen langen Weg vor sich haben.
Der KURIER hat bei Athleten, Physiotherapeuten und Mentalcoaches nachgefragt. Sie sind sich einig: Comebacks beginnen im Kopf.
Kontrollverlust
Es geht meist ganz schnell. Zack! Schon ist es passiert. Der falsche Schritt, der Sturz, der Schmerz, die Diagnose – dann der Schock. Von einem Moment auf den anderen schwindet für viele durch eine schwere Verletzung der Lebensinhalt, für so manchen gar die Einkommensquelle. Das Gefühl des Kontrollverlustes macht sich breit.
Diese Schockphase könne unterschiedlich lang dauern, sagt Mentalcoach Wolfgang Seidl, der unter anderem mit Fußballern, Triathleten oder Tennisspielern arbeitet und betont, wie wichtig das Mentale auf dem Weg zum Comeback ist. Spätestens nach der (etwaigen) Operation hat der Patient es zum Teil auch selbst in der Hand, wie bald er wieder auf den Beinen, auf dem Ski, dem Feld steht.
Sogar vor der Operation kann der Sportler oder die Sportlerin schon aktiv Einfluss nehmen, verrät Physiotherapeut Stefan Mair: Es sei nachweisbar, dass Stress vor der OP diese negativ beeinflussen könne. Mair und sein Kollege Claudio Huber kennen den Alltag der Spitzenathleten in der Reha. In der Sporttherapie Huber/Mair gehen prominente Verletzte wie David Alaba, Marco Schwarz ein und aus.
Der verletzte Norweger Kilde befindet sich in einer ähnlichen Einrichtung, wo auch Shiffrin immer wieder zu Gast ist.
Die Rückkehr nach der Verletzung sei ein „bio-psychosozialer Regelkreis“, sagt Mair, also ein Zusammenspiel aus Körper, Kopf und Umfeld.
Dabei sei es auch wichtig, dass Patient, Ärzteteams, Physiotherapeutinnen, Verband, persönliches Umfeld und gegebenenfalls Mentalcoach gut kommunizieren, sagen die Sporttherapeuten. Real Madrid erkundige sich ebenso über die Therapiefortschritte Alabas wie der ÖSV über jene von Schwarz.
Was ich aus der ersten Verletzung gelernt habe, ist, geduldig zu bleiben
von Marco Schwarz
ÖSV-Star
Die Top-Athleten wissen, dass ihre Einstellung direkten Einfluss auf die Heilung hat. Vor allem, wenn sie, wie ÖSV-Star Schwarz, wissen, was auf sie zukommt. Schwarz hat bereits nach seinem ersten Kreuzbandriss 2019 mit Claudio Huber zusammengearbeitet. „Was ich aus der ersten Verletzung gelernt habe, ist, geduldig zu bleiben“, sagte der Skirennläufer kürzlich. „Rückschläge sind Teil des Prozesses“, weiß er mittlerweile. „Blacky hat die Vorerfahrung auf jeden Fall geholfen“, sagt Huber. Er spricht von einem „positiven Idealfall“.
Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verarbeiten, was passiert ist
von David Alaba
Real-Madrid-Star und ÖFB-Kapitän
Um die Situation zu verstehen und zu akzeptieren, helfen Objektivität, Vertrauen und klare Ansagen, sagt Claudio Huber. Und kleine „Meilensteine“. Da habe sich laut seinem Kollegen Stefan Mair in der Therapie in den vergangenen zehn Jahren viel getan: Man lasse den Athleten nicht mehr in einem „monatelangen Nirwana“ zwischen Verletzung und Rückkehr, sondern gehe „einen Schritt nach dem anderen“. Diese Transparenz helfe dem Sportler bzw. der Sportlerin.
Durch die Arbeit an kleinen Schritten könne der Patient wieder wie gewohnt an einem Trainingsplan arbeiten. Der Ehrgeiz sei ja da – man müsse ihn nur in andere Bahnen leiten. „Die Athleten oder Athletinnen wollen oft schnell wieder Teil eines Teams sein“, sagt Huber. Er weiß: „Genauso, wie die mentale Komponente wichtig für die Heilung ist, läuft es auch umgekehrt: Wenn ich meinen Körper wieder fordere, also gesunde Strukturen trainiere, hilft das auch dem Kopf – ich schütte Glückshormone aus, bin wieder Athlet.“
Stärker zurückkommen
Kann man also wirklich „stärker zurückkommen“, wie sich Athleten unter #comebackstronger“ auf Social Media oft wünschen? Absolut, glauben die Therapeuten und der Mentalcoach. Marco Schwarz sei das beste Beispiel, er kam nach seinem letzten Kreuzbandriss stärker zurück als je zuvor. Die Zwangspause könne als Chance genutzt werden, einen gewissen „Tunnelblick“ aufzulösen, sagt Mair: „Manchmal sieht man, dass Athleten in der Comeback-Saison das beste Jahr ihrer Karriere haben, weil sie dann frei und ohne Erwartungen am Start stehen.“
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