WM-Auslosung: Infantino, Trump und ein Friedenspreis, der Fragen aufwirft
Während im Vorfeld der heutigen WM-Auslosung in Washington noch offen ist, welche Gegner Österreichs Nationalteam in der Gruppenphase des Turniers erwarten werden, scheint eine andere Entscheidung bereits gefallen: Die FIFA wird am Abend eine neue Auszeichnung verleihen, die es vor wenigen Wochen noch nicht einmal gab – und deren erster Preisträger wohl niemanden überraschen wird.
Der Weltverband hat kurzfristig den "FIFA Peace Prize“ eingeführt, laut Insidern ohne Abstimmung mit zentralen Gremien und selbst für Teile der eigenen Führung völlig unerwartet. Zuvor hatte der FIFA-Präsident Gianni Infantino öffentlich betont, Trump habe den Friedensnobelpreis "definitiv verdient" und seine Politik im Nahen Osten als "entscheidend“ gelobt.
Dass dieser neue FIFA-Preis seine Premiere ausgerechnet an einem Abend feiert, der weltweit im Fernsehen übertragen wird, ist kein Zufall. Vieles spricht dafür, dass Donald Trump heute jene Bühne bereitet werden soll, die ihm beim Friedensnobelpreis vor wenigen Monaten noch verwehrt blieb.
"Kein Verfahren, keine Nominierten, keine Bewertung"
Die Einführung des "FIFA Peace Prize“ erfolgte über Nacht. Mehrere mit den Vorgängen vertraute Funktionäre berichteten The Athletic, dass Infantinos Entscheidung ohne Konsultation der acht Vizepräsidenten fiel. Einige erfuhren erst aus Medienhinweisen von der neuen Ehrung. Interne Beschreibungen verorten den Preis als Pendant zum "Presidential Award“ der UEFA – also als Instrument, dessen Gestaltung maßgeblich in der Hand des FIFA-Präsidenten liegt.
Transparenz gibt es kaum. Das Gremium, das künftig Kriterien definieren soll, tagt erst nach der Premiere. Geleitet wird es von Zaw Zaw, dem myanmarischen Verbandschef, dessen Unternehmen jahrelang auf Sanktionslisten standen und der laut Guardian als enger Unterstützer der Militärjunta gilt.
Aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen wirft der neue Preis grundlegende Fragen auf. "Es gibt kein Verfahren, keine weiteren Nominierten, keine Form von Bewertung“, bemerkt Minky Worden von Human Rights Watch gegenüber CNN. Ihre Anfrage an die FIFA blieb unbeantwortet.
"Der Prozess wurde rückwärts konstruiert, um Infantinos gewünschtes Ergebnis zu ermöglichen“, ergänzt Nick McGeehan, Vorstandsmitglied der britischen NGO FairSquare .
Die FIFA reagiert knapp. Man werde "dafür kritisiert, Frieden zu würdigen“, erklärte ein Sprecher.
Village People singen "YMCA"
Die WM-Auslosung inklusive Preisvergabe findet am Freitagabend im John F. Kennedy Center statt, dessen Führung Trump erst vor wenigen Monaten neu besetzt hat. Für die FIFA wird das renommierte Haus drei Wochen lang freigeräumt. Dokumente, die zunächst auf eine mietfreie Nutzung hindeuteten, sorgten für politischen Streit im US-Kongress. Offiziell heißt es mittlerweile, die FIFA zahle Millionen über Sponsoring und Spenden – Summen, die im Vertrag allerdings nicht auftauchen.
Auch das Programm für die WM-Auslosung ist auffällig kuratiert: Unter anderem sollen die Village People ihren 70er-Jahre-Hit "Y.M.C.A.“ zum besten geben, den Soundtrack vieler Trump-Auftritte.
"My Boy"
Die Nähe zwischen Infantino und Trump hat sich über Jahre aufgebaut. Der FIFA-Chef begleitete den Präsidenten zu politischen Terminen, reiste mit ihm durch den Nahen Osten, tauchte bei Wirtschaftsforen auf und lobte Trumps Politik öffentlich. Der Präsident nannte ihn im Gegenzug "my boy“.
Dass Infantino damit die statutarische Neutralität der FIFA überdehnt, kritisieren frühere Ethikverantwortliche des Verbands seit Monaten vehement.
Außerdem überreichte Infantino dem US-Präsidenten wiederholt Repliken wichtiger FIFA-Trophäen zu PR-Zwecken.
Bei der Klub-WM im Sommer diesen Jahres blieb Trump nach der Pokalübergabe an Chelsea demonstrativ auf dem Podium stehen, anstatt sich, wie es im Protokoll vorgesehen gewesen wäre, zurückzuziehen. Infantino duldete die Inszenierung an seiner Seite.
"Bei Schwierigkeiten nehmen wir ihnen das Spiel weg"
Hinzu kommt, dass sich das New Yorker FIFA-Büro im Trump Tower befindet, obwohl der Verband erst vor kurzem ein großes Nordamerika-Hauptquartier in Miami eröffnet hat. Mehrere verbandsnahe Personen berichteten der New York Times, dass das Büro im Trump Tower den Großteil des Jahres leer stehe.
Für Trump ist die Weltmeisterschaft längst mehr als ein Sportereignis. Das Turnier bietet ihm eine globale Bühne und ein machtpolitisches Instrument. Er drohte mehrfach, Spiele aus demokratisch regierten Städten abzuziehen, Boston und Seattle wurden als Gastgeberstädte von Trump offen infrage gestellt.
"Wenn ich ein Zeichen von Schwierigkeiten sehe, nehmen wir ihnen das Spiel weg“, sagte Trump zuletzt.
Infantino stand daneben und bestätigte, Sicherheit sei "die oberste Priorität“.
Auch die US-Einwanderungspolitik greift direkt in die WM-Planung ein. Die USA haben 19 Länder auf eine Liste mit Einreisebeschränkungen gesetzt, darunter Iran und Haiti – beides WM-Teilnehmer. Der Iran drohte bereits, die Auslosung zu boykottieren, weil Visa nicht rechtzeitig gewährt würden. Zwar sind Teams von den Einreisebeschränkungen ausgenommen, Fans jedoch keineswegs.
Andrew Giuliani, Leiter der White-House-Taskforce, sprach von beschleunigten Visa-Verfahren, schloss aber mögliche ICE-Razzien im Umfeld der WM nicht aus.
Human Rights Watch warnt, die WM drohe "vor dem Hintergrund gewaltsamer Inhaftierungen von Migranten“ stattzufinden.
Der finanzielle Druck ist hoch
Parallel baut Infantino die internationalen Netzwerke der FIFA aus. Russland verlieh ihm einen Orden, Katar und Saudi-Arabien zählen zu seinen engsten Partnern. Die Vergabe der WM 2034 an Saudi-Arabien fügt sich nahtlos in diese Linie.
Das hat vor allem einen Grund: Der finanzielle Druck ist hoch. Der Weltverband erzielt große Überschüsse fast ausschließlich in WM-Jahren. Entsprechend wachsen die Anreize, mächtige Gastgeber eng einzubinden – politisch wie wirtschaftlich. Für den laufenden Zyklus (2023-2026) erwartet der Verband Rekordeinnahmen.
Wenn also heute Abend der Umschlag geöffnet wird und Infantino den ersten Gewinner seines "FIFA Peace Prize“ verkündet, wird es ein Moment sein, in dem der Weltfußball abermals öffentlich zeigt, wie flexibel er seine eigenen Grundsätze interpretiert. Und wie sehr politische Beziehungen seine Entscheidungen inzwischen beeinflussen können.
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