Tennis-Star Dominic Thiem - ein Strahlemann im Formtief
„French Open!“
Über das große Saisonziel musste Dominic Thiem schon zu Jahresbeginn nicht nachdenken. Zweimal wurde er erst im Endspiel von einem scheinbar unbezwingbaren Rafael Nadal gestoppt (2018 und 2019), nicht nur für Fans von Österreichs Sportlers des Jahres war der letzte Schritt, der Titel, eine logische Folge.
Dass er noch ein Jahr warten muss, ist nach den heuer gezeigten Leistungen keine böse Überraschung, dass er dies schon nach dem ersten Antreten weiß, ist für den äußerst ehrgeizigen Niederösterreicher eine mittlere Sport-Katastrophe.
Dabei hatte der 27-Jährige gegen den 35-jährigen Spanier Pablo Andujar bereits mit 2:0 in Sätzen geführt, schien alles perfekt, um dann doch noch gegen die Nummer 68 mit 6:4, 7:5, 3:6, 4:6 und 4:6 zu verlieren. Die erste Auftakt-Niederlage in Paris war nur der Tiefpunkt. Doch wo liegen die Gründe am Misserfolg der ersten Halbzeit der Saison 2021? „Für mich wirkte er müde, vor allem mental“, sagt Eurosport-Experte Mats Wilander. Ein Versuch, Gründe zu finden:
„Blasen“-Leiden
„Das Leben in der Bubble ist mental ein Wahnsinn“, sagte Thiems Manager Herwig Straka schon vor Monaten. In Paris ist es noch einmal schlimmer. Gerade dort war der Lichtenwörther immer von einem größeren Team, vor allem aber von der Familie und seinem besten Freund Lucas Leitner umgeben. Heuer ist man besonders streng, dürfen nur Trainer Nicolás Massú und Physio Alex Stober zu Thiem. „Dieses eingeschränkte Leben macht generell viel mit ihm, er hat zwar wie andere Menschen keine wirtschaftlichen Probleme, aber mental setzt ihm die Situation zu“, sagt Mentaltrainer Axel Mitterer, der seit Jahrzehnten im Sport tätig ist. Aus zweierlei Hinsicht. „Die Familie fehlt ihm sehr, auch sein Bruder war oft dabei. Er ist sehr sensibel, spürt das noch mehr als andere.“ Der Familienmensch kann zudem in den Blasen auch nicht auf die Lebenspartnerin setzen. Auch wenn einige Trainer unabhängig voneinander sagen, dass solche Ablenkungen ohnehin nicht gut sind für einen Topathleten, im Prinzip stärkt aber eine Beziehung den Menschen Dominic Thiem. Dass Thiem zum Zeitpunkt seines US-Triumphs Single war, ist eher Zufall.
Nicht der einzige Grund, warum die Blasen den sportlichen Erfolg erschweren. „Dominic ist ein akribischer Arbeiter, und perfekte Arbeitsbedingungen sind durch die Pandemie-Maßnahmen beeinträchtigt“, sagt Mitterer.
Streitereien
Dazu kommt noch die Gesamt-Situation. Mitterer: „Der Zwist seiner Familie mit Ex-Trainer Günter Bresnik sind für ihn eine zusätzliche Belastung.“ Bresnik war nicht nur Trainer und Manager, sondern auch ein Freund, mit dem Österreichs Sportler des Jahres täglich bis zu sechs Mal auch privat telefonierte. Auch die Familien Thiem und Bresnik waren eng befreundet.
Der ersehnte Major-Titel
Mit dem US-Open-Triumph im Vorjahr hat Thiem ein Lebensziel erreicht. „Er hat extrem hart dafür gearbeitet“, sagt Mitterer. „Bei Thiem ist es kein einmaliges Phänomen, dass man dann in ein Loch fällt.“ Freilich wären Roger Federer oder Novak Djokovic Ausnahmen. Doch auch einen der Superstars erwischte es. „Als Djokovic 2016 endlich in Paris gewann, ist er danach in ein Loch und im Ranking nach und nach weit zurückgefallen“, erinnert sich Ex-Profi Alexander Antonitsch. Mitterer kennt dieses Phänomen von anderen Tennisspielern, wenngleich auf anderem Niveau. „Wenn ein Spieler das Ziel Top 100 erreicht hat und dies genießt, merkt er, dass er noch mehr arbeiten muss, um in die Top 75 zu kommen.“
Der selbst auferlegte Druck
Ziele erzeugen Druck. Doch: Sollte sich Thiem selbst Druck auferlegen, wäre dies für Mitterer grundlegend falsch. „Wenn ich Leistungssport ausübe, darf ich mit Herausforderungen umgehen und nicht mehr“, sagt Mitterer. „Druck hat vielleicht ein Skifahrer, der oben auf der Streif steht und nicht weiß, ob er im Ziel oder im Krankenhaus ankommt.“
Die Matchpraxis
Der wohl wichtigste Faktor. Thiem betont, dass die vergangenen zwei Monate im Training gut gewesen seien. „Da fehlt es an nichts, weder bei mir noch bei meinem Trainerteam. Aber in den Matches hapert es noch schwer.“ „Nur die Wettkampfleistung ist das Leistungsbild eines Athleten“, sagt Mitterer. „Matchpraxis kann durch nichts ersetzt werden“, erklärt auch Antonitsch. Die rund sechswöchige Pause vor der Sandplatz-Saison hinterließen Spuren. „Dass ich mich in der Auszeit spielerisch nicht verbessere, ist auch klar“, sagt Thiem. „Man merkte, dass er phasenweise nicht gut zum Ball stand“, nennt Antonitsch ein Signal für eine fehlende Selbstverständlichkeit im Spiel.
Der Nimbus
Thiem gilt als bester Sandplatz-Spieler neben Nadal. „Die Spieler hatten Angst vor einem Duell mit Thiem. Jetzt haben sie gesehen, wie man ihn schlagen kann“, sagt Antonitsch. Andujar hat selbst nach 0:2-Satzrückstand erkannt, dass er Thiem biegen kann. Dessen negative Körpersprache hilft den Gegnern.
Die Spielidee
Thiem ist sein spektakuläres, attraktives Spiel gewohnt. Manchmal reicht ein fades, aber zweckorientiertes Spiel.
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