Dopingfall Sinner: "Sperre zwischen einem halben Jahr und einem Jahr realistisch"

Jannik Sinners Wettlauf mit der Zeit
Am Rande der Australian Open hält die Nationale Anti-Doping-Agentur eine Sperre des Weltranglisten-Ersten durchaus für möglich. Aber es könnte zu einem Riesenchaos ausarten.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Jannik Sinner, seines Zeichens überlegener Herrscher über die Weltrangliste, wird immer wieder mit dem unleidlichen Thema Doping konfrontiert. Und da er bei den Australian Open, dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres, als Titelverteidiger im Mittelpunkt steht, sind unangenehme Fragen aufgelegt.

Da tut Abwechslung mal ganz gut. Der 23-Jährige, der selbst im Kindesalter begnadet mit den zwei Brettl’n umgehen konnte, wurde in einem TV-Video nach seinen größten Skifahrern befragt. Als er den berühmten Landsmann Alberto Tomba vergaß, entschuldigte er sich kurzerhand: „Sorry, Alberto!“ Die Nummer eins ist für ihn übrigens Lindsey Vonn, die nach langer Pause nun wieder die Pisten runter braust.

Nun könnte er selbst länger weg sein. Weil der Südtiroler im März des Vorjahres während des Turniers in Indian Wells zweimal positiv auf Clostebol getestet worden war. Die zuständige Internationale Tennis Integrity Agency (ITIA), die 2021 vom Weltverband ITF und den Spielerorganisationen ATP und WTA eingerichtet wurde, akzeptierte jedoch sein Argument, dass das Steroid unabsichtlich in seinen Körper gelangt sei: Deshalb wurde er nicht suspendiert. Doch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) legte daraufhin beim Internationalen Sportgerichtshof CAS Berufung ein. Der Weltranglistenerste wurde für den 16. und 17. April dieses Jahres zur Anhörung nach Lausanne geladen. Ein Urteilsspruch kann danach noch Monate dauern.

„Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich es vergessen kann“, sagt Sinner vor seiner Zweitrundenpartie am Donnerstag  gegen den Australier Tristan Schoolkate (9 Uhr MEZ). Pikant war, dass er in der 1. Runde mit Nicolas Jarry einen Spieler geschlagen hat, der selbst lange gesperrt war.

Für das Team verantwortlich

Und ihm blüht Ähnliches. Denn nach Rückfrage bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA Austria) droht Sinner tatsächlich eine Sperre. „Eine Sperre zwischen einem halben Jahr und einem Jahr ist durchaus realistisch“, sagt David Müller, Leiter der Information und Prävention der NADA und nennt den Grund. „Jeder Sportler ist für sein Team verantwortlich.“ Das gelte für Sportler in kleineren Bereichen ebenso wie für Spitzensportler. „Hier wurde seitens des Teams fahrlässig gehandelt. Der Wirkstoff ist in Italien hinlänglich bekannt, es gab damit einige Dopingfälle, auch im Tennis, weshalb auch auf der Verpackung sehr deutlich auf die Dopingrelevanz hingewiesen wird.“ Für Müller liegen die Probleme auch in einem anderen Bereich: „Die ITIA wurde zwar für diese Fälle extra gegründet, ist aber noch immer sehr nahe am Tennisweltverband dran, weshalb ich nachvollziehen kann, dass manche die Unabhängigkeit der Entscheidungen hinterfragen.“

Große Ungewissheit

Doch was passiert Sinner bei einem Schuldspruch beim  Gerichtshof CAS? Die ATP  erklärte nach KURIER-Anfrage, dass die Sperre erst ab dem Zeitpunkt eines möglichen Schuldspruches gelte, weil die ITIA ihn freigesprochen hatte. Allerdings wäre es laut ITF-Regeln unter Umständen durchaus möglich, dass Sinner rückwirkend gesperrt wird und damit möglicherweise auch Punkte und Preisgelder verlieren könnte, wie es bei der Russin Maria Scharapowa 2016 der Fall war. Das heißt, bei einer halbjährigen Sperre (ab März 2024 bis September 2024)  könnte er im Extremfall auch den US-Open-Titel verlieren.  Dann würde es keinen New-York-Champ 2024 geben, der Finalist Taylor Fritz aus den USA würde nicht automatisch zum Champ aufsteigen. 

Nicht wissentlich

Eine rückwirkende Sperre „wäre in jedem Fall verrückt“, sagt Thomas Hammerl, ehemaliger Geschäftsführer von Tennis Europe (Dachverband der ITF), der auf Milde im Strafausmaß hofft. „Man muss immer unterscheiden, ob jemand wissentlich dopt oder ob jemand unabsichtlich eine Creme wie Sinner aufgetragen bekommt“, sagt Hammerl, der betont, dass es bei Topspielerin Simona Halep umgekehrt war. Sie wurde von der ITIA gesperrt, der CAS hat die Strafe aufgehoben.

Ein Thema ist der Fall Sinner längst. Seit die ITIA im August bekannt gab, dass Sinner zwar positiv getestet, aber freigesprochen wurde, gab es viele Fragen. „Es ist komisch, dass die positive Probe zur selben Zeit wie der Freispruch publik gemacht wurde“, sagte etwa der Deutsche Sascha Zverev. Für Unmut sorgte die Entscheidung der ITIA längst. „Kleine Fische werden gefangen, viele Große entkommen aber“, sagte der britische Profi Daniel Evans.

Der besagte Große ist nicht nur die Nummer eins, sondern, wie Hammerl sagt, „die Zukunft des Tennissports, der ihn wie ein Stück Brot braucht, seit Roger Federer und Rafael Nadal ihre Karrieren beendeten. Sinner bringt die Jungen zum Tennis.“

Jannik Sinner als großes Vorbild? Darf sein, aber zumindest hat der weiße Tennissport generell dunkle Flecken davongetragen.

Kommentare