Talfahrt der Sportstadt: Warum Wien ohne Olympia-Medaille blieb

Österreich holte sieben Medaillen. Wien keine einzige davon.
Am Dienstag ehrt Bundespräsident Alexander van der Bellen in der vermeintlichen Sportstadt Wien die Tokio-Heimkehrerinnen und -Heimkehrer. Allen voran die glorreichen Sieben.
Die Niederösterreicherin Anna Kiesenhofer, die als Frau Mathematik-Doktor lieber an der Uni Lausanne lehren, als ihr Rad-Gold im Profi-Sport versilbern will;

... die Niederösterreicherin Michaela Polleres, die Judo-Silber erkämpfte;
... den Welser Shamil Borchashvili, der vom ehemaligen Flüchtlingskind zum Judo-Olympiadritten wurde;
... die Vorarlbergerin Bettina Plank, die für Österreich die erste und letzte Medaille im Karate eroberte, weil diese Kampfsportart künftig nicht mehr olympisch sein wird;
... die Kärntnerin Magdalena Lobnig, die die ersten Rudermedaille seit 1992 holte;
... den Oberösterreicher Lukas Weißhaidinger, der mit Diskus-Bronze die erste Leichtathletik Männermedaille für Rot-weiß-rot in der Olympia-Historie eroberte;
... und den bronzenen Tiroler Kletterer Jakob Schubert, dessen Sportart schon bei deren Olympia-Premiere publikumswirksame Bereicherung war.
Wiener werden bei der Ehrung in Wien nicht im Mittelpunkt stehen.
Dies bräuchte nicht dramatisiert werden, wenn ... ja wenn die Hauptstadt nicht auch quantitativ im Olympia-Team unterrepräsentiert wäre. Kaum zehn der 75 Olympia-Teilnehmer stammen aus dem an Einwohnern stärksten Bundesland. In den Elementarsportarten Leichtathletik und Schwimmen hat es überhaupt kein Hauptstädter nach Tokio geschafft. Und bei der Fußball-EM schien kein einziger Spieler von Rapid und Austria in Franco Fodas 25-Mann-Kader auf.

Wiens wortgewaltiger Sport- und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker wird, zumal als Corona-Krisenmanager ohnehin überbeschäftigt, diese Feststellung vermutlich net amol ignorieren. So wie FPÖ- Oberzündler Herbert Kickl die Tatsache, wonach alle EM-Spieler mit Wien-Bezug Migrationshinterhintergrund haben.
David Alaba, Marko Arnautovic, Aleksandar Dragovic, Sasa Kalajdzic, Pavao Pervan, Karim Onisiwo – sie alle zerrissen ihre ersten Fußballschuhe bei kleinen Wiener Klubs. Sie allen plus die künftigen Wiener Teamspieler Ercan Kara (noch Rapid) und Yusuf Demir (Barcelona) sind der Beweis: Ohne Spieler mit Wurzeln am Balkan, in Afrika oder in der Türkei wäre man international chancenlos.
Dem Sport in Wien fehlt – abgesehen von wenigen „In-Ereignissen“ wie der bevorstehenden Beachvolleyball-EM vor’m Konzerthaus – speziell in vornehmeren Kreisen der gesellschaftliche Stellenwert . Das ist aber nicht der einzige Grund für die Wiener Talfahrt.
Sportplätze wurden verbaut oder von dicht besiedelten Vierteln an die Peripherie verlegt. Zumal realitätsferne Planer im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts nicht berücksichtigt hatten, dass viele Eltern ihre Kinder nicht in der Dämmerung allein quer durch Wien zum Training fahren lassen.
Der einstige Gewerkschaftspräsident und Rapid-Boss Anton Benya hat diese Fehlentwicklung (und damit sein rotes Wien) in einem KURIER-Interview einmal kritisiert. Aber das war zu Zeiten, in denen Politiker noch die Größe besaßen, Fehler zuzugeben.
Aktuell dient Entscheidungsträgern (bzw. deren PR-Strategen) der Sport eher dazu, um nach Erfolgen beim medienwirksamen Gratulieren in der Poleposition zu sein.

Kommentare