Rogan: "Österreicher haben Angst vor Konfrontation"
KURIER: Herr Rogan, Sie waren während Ihres Österreich-Aufenthalts zu Gast bei einer Talkshow zum Thema Flüchtlinge und diskutierten im Haus der Industrie mit Wissenschaftlern über Migration. Warum ist es Ihnen wichtig, zu diesen Themen Stellung zu beziehen?
Markus Rogan: Weil ich selbst Migrant bin. In meiner Wahlheimat Amerika wird man als Ausländer viel besser behandelt als hier.
Inwiefern?
Wenn ich als junger Ausländer nach Österreich komme, habe ich keine Vorbilder, denn die werden versteckt. Die Schlechten werden zu gigantischen Geschichten hochgespielt und die Guten werden bestenfalls ignoriert. Wir haben generell das Problem, dass wir Vorbilder zu wenig wertschätzen.
Sehen Sie es als Ihre Pflicht an, als ehemaliger Spitzensportler darauf aufmerksam zu machen?
Ich würde mir generell wünschen, dass unsere Sportler mehr reden. Die meisten sagen ja nichts. Ich denke, dass mich im Gegensatz zu vielen anderen ein Merkmal auszeichnet: Ich scheue keinen Konflikt. Und die meisten Österreicher haben Angst vor jeglicher Konfrontation. Nach dem Leitsatz: "Die anderen sind schlecht, aber direkt sagen tu’ ich nix." Ich finde gerade den Konflikt interessant. Das ist vermutlich das Un-österreichischste an mir. Vielleicht laden sie mich deshalb so gerne zu Diskussionen ein. Ich hab’ vielleicht nicht so viel Ahnung von diesen Themen, aber dafür zumindest keine Angst vor der Konfrontation.
Einige Leute werden sich jetzt wieder denken: Einmal ist der Rogan wieder in Österreich, schon tritt er wieder überall auf. Wie gehen Sie mit diesem Image um?
Es ist ein wenig komisch für mich, wenn ich jetzt nach Österreich komme. Weil hier meine Meinung plötzlich wieder so viele interessiert. Das kenne ich aus den USA nicht. Und außerdem: Der Sport und die Athleten haben in Nordamerika einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft.
Was meinen Sie damit?
Es ist dort erlaubt, wenn ein Sportler fragt: Was bringt mir das Ganze? Was habe ich davon, wenn ich dies oder das mache oder dort auftrete? Die Sportler in den USA, die von einem Thema berührt sind, nehmen viel deutlicher Stellung dazu. Ein mexikanischer Baseball-Profi etwa sagt selbstverständlich etwas zu Donald Trump und seiner Ausländerpolitik.
Was bedeutet für Sie Nationalstolz?
Auf emotionaler Ebene bin ich sehr stolz. Zwei meiner besten Freunde in Los Angeles sind Österreicher. Es gibt Abende, an denen wir Austropop-Lieder hören, mitsingen und Bier trinken. Da vermisse ich Österreich.
Und wann vermissen Sie Österreich nicht?
Wenn so skurrile Situationen auftreten, dass zehn weiße, österreichische Männer über Integration diskutieren. Wenn du das in den USA probierst, machst du dich einfach nur lächerlich.
Sie klingen, als seien Sie richtig froh, in den USA zu leben!
Ich möchte die USA nicht hochloben. Es gibt einiges zu verbessern. Außerdem kann es auch wunderschön in Österreich sein. Hätte ich nur öfter den Mund gehalten und ab und an einfach nur gesagt: "Ein Schnitzel schmeckt am besten!" Dann könnte ich jetzt eine Mini-Ausgabe von Hermann Maier spielen.
Was stellen Sie sich darunter vor?
Jemanden, der das eigene Image immer weiterverkauft und von Raiffeisen dafür Millionen bekommt. Das ist für manche bestimmt ein schönes Leben.
Und das würde Sie zufriedenstellen?
Das ist die entscheidende Frage. Ist es wirklich ein schönes Leben oder nur ein kleiner, goldener Käfig? Es macht mich eben nicht glücklich, ausschließlich durchs Land zu gehen, zu lächeln und Bierfässer aufzustechen.
Bei der Veranstaltung im Haus der Industrie haben Sie einen Preis für Ihr Lebenswerk bekommen. Was bedeuten Ihnen solche Auszeichnungen?
In Wahrheit vermisse ich das jubelnde Publikum. Berühmtheit ist die Droge unserer Zeit.
Merken Sie das auch bei Ihrer Arbeit als Psychotherapeut?
Neben Kokain- und Alkoholsucht gibt es jetzt auch Social-Media-Sucht. Klar sehe ich das immer öfter in meiner täglichen Arbeit. Das ist ja zum Teil auch verständlich. Wir Menschen sind Herdentiere und suchen die Bestätigung der anderen. Im Internet finden wir die. Man muss den Jungen nur klarmachen, was 150 Likes bedeuten – nämlich etwas Flüchtiges, Willkürliches.
Sie betreuen auch das NFL-Team der Seattle Seahawks. Welche Probleme haben Football-Stars?
Ängste hat jeder Mensch, und erst recht Sportstars. Footballer haben die Angst, ersetzt oder verletzt zu werden. Das Brutale an der NFL ist, dass eine durchschnittliche Karriere 2, 3 Jahre dauert. Zwanzig Jahre Training sind darauf ausgelegt, und dann stehst du beim ersten Training deinem direkten Konkurrenten gegenüber, der deinen Platz will und bereit ist, dich in den Boden zu rammen. Angst ist in diesem Moment völlig legitim. Wir sprechen darüber, mit dieser Angst umzugehen, ohne dass sie einen lähmt.
Sie sind seit letzten Sommer auch Berater des österreichischen Schwimmverbandes. Ist das Ihr schwierigster Patient?
Das Versagen des Schwimmverbandes liegt nicht an der Inkompetenz der aktuellen Funktionäre.
Woran sonst?
Österreich fördert sportliche Leistung nicht. Punkt. Meine Beratertätigkeit bezieht sich ausschließlich auf diesen Aspekt. Noch immer läuft man da gegen Wände – in der Politik und bei den Verbänden.
Wie lautet Ihr Ansatz?
Vergesst das gesamte österreichische Fördersystem! Ein Vorschlag: All jene Athleten, die unter den ersten acht der Weltrangliste sind, bekommen Betrag X; die, die zwischen Rang neun und zwanzig sind, bekommen Betrag Y, usw. Du ersparst dir damit fünfzig Anlaufstellen und eine Handvoll Ämter. Die besten Sportnationen der Welt fördern genau nach diesem Schema.
Wie kann man gegen diese Widerstände ankämpfen?
Ich suche ein mutiges Unternehmen, das sich traut, mein Fördersystem umzusetzen – unabhängig von allen Verbänden und der Politik. Damit man endlich sieht, wie effizient Förderung von Leistung sein kann.
Von wie viel Geld sprechen wir hier?
Von 200.000 Euro im ersten Jahr. Damit kann bereits Großartiges erreicht werden.
Was hat ein Unternehmen davon?
Eine zentrale, maßgebende Rolle in einer positiven Revolution. Damit es endlich jeder kapiert, dass man Leistung fördern muss, um Leistung zu erhalten. Reicht das nicht als Anreiz?
Wie sehen Sie den österreichischen Schwimmsport derzeit? Wo liegen die Unterschiede zu Ihrer aktiven Zeit?
Das selbstherrliche Funktionärswesen ist nix Neues. Das Traurige ist ja: Willst du Karriere im österreichischen Schwimmsport machen, dann werde Funktionär.
Vermissen Sie eigentlich den Wettkampf?
Nicht unbedingt. Ich vermisse eher den Prozess und den Luxus im Spitzensport, dass du nur eine Sache hast, auf die du dich konzentrieren musst. Aber die musst du dafür richtig gut machen.
Wie vermittelt man den Jungen diesen Reiz – das Schwimmtraining gilt ja als besonders hart?
Die Ära der Berühmtheit spielt dem Sport in die Hände. Irgendwas musst du schon besonders gut können, um aufzufallen. Da ist der Sport eine perfekte Plattform. Außerdem: Das Schöne am Schwimmtraining ist der meditative Aspekt. Nur im Wasser kannst du wirklich alles ausblenden.
Spitzensport gilt prinzipiell als ungesund. Wie geht es Ihrem Körper nach zwanzig Jahren Hochleistungssport?
Ich kann mich nicht beklagen. Geblieben ist eine gewisse Körperbesessenheit. Es ist halt nicht leicht, dort Haare und Fett zu sehen, wo früher nichts von alldem war. Aber in dem Punkt hilft mir meine Eitelkeit und Arroganz ein wenig.
Markus Rogan wurde am 4. Mai 1982 in Wien geboren. Er ist der erfolgreichste Schwimmer der österreichischen Geschichte. Der Rückenspezialist gewann 34 Medaillen bei Großereignissen, darunter WM-Gold, neun EM-Titel und in Athen 2004 zwei Mal Olympia-Silber. Zwei Mal schwamm er Weltrekord.
Der PrivatmannRogan studierte in den USA Wirtschaft und absolvierte eine Ausbildung zum Psychotherapeuten, seine Mutter ist Psychiaterin, sein Stiefvater Psychologe. Mit seiner Frau Leanne Cobb lebt Markus Rogan in Los Angeles, seine Praxis befindet sich in Beverly Hills. Er betreut unter anderem drogensüchtige Jugendliche und die Footballer der Seattle Seahawks.
Auch nach seiner Karriere als Schwimmer geht Markus Rogan lieber auf Konfrontations- denn auf Kuschelkurs. Bereits früh blickte er über den Beckenrand hinaus, endeten seine Gedanken nicht schon beim Trainingsplan der kommenden Woche. Was für viele erst wohltuend und erfrischend klang, sollte für manche schon bald lästig und berechnend werden. So wird auch dieses Interview gelesen werden.
Ein paar Gedanken lohnen aber eine genauere Betrachtung. Rogans Ansatz, im Sport streng nach Leistung zu fördern, ist durchaus charmant und erstrebenswert – für die absolute Spitze. Die Idee zeigt auch, warum die Einbindung ehemaliger Spitzenathleten nicht die Lösung aller Probleme ist. Dass ein Hochleistungssportler nur die Spitze im Blick hat, liegt in der Natur der Sache. Er hat es nicht anders gelernt.
In einer modernen Gesellschaft ist Sport aber mehr als die Summe der errungenen Medaillen. Das beweisen etwa die Tausenden, die Tag für Tag durch die Parkanlagen dieses Landes joggen.
Insofern ist die Ignoranz der Politik ärgerlich. Deutlich geworden ist das erst kürzlich, als bei der Ministerien-Neubesetzung der Sport (als Anhängsel der Landesverteidigung) mit keinem Wort erwähnt wurde. Laut war danach der Aufschrei des organisierten Sports. Verschweigend, dass einige selbstherrliche Funktionäre und so mancher erschreckend schlecht geführte Verband viel zu dem Image beigetragen haben.
Kommentare