Politischer Zündstoff: Kosovo-Frage schwebt über Serbien - Schweiz
Für Schiedsrichter Felix Brych, der Freitagabend um 20 Uhr (live auf ORFeins) in Kaliningrad sein WM-Debüt geben wird, könnte die Partie Schweiz gegen Serbien nicht einfach werden. Den Deutschen erwartet nämlich ein WM-Spiel, das wegen der Kosovo-Frage enorme politische Brisanz mit sich bringt. Die Nationalspieler Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri und Valon Behrami haben albanisch-kosovarische Wurzeln und machen aus ihnen keinen Hehl. Behrami hat sich den albanischen Doppeladler auf seine Wade tätowieren lassen, Xhaka feierte Torerfolge mit einer Geste, die das albanische Wappentier symbolisieren.
Das sorgt nicht nur bei den Eidgenossen für Diskussionen, sondern auch bei den Fans. Während in der Schweiz die Debatte über Integration und die "Secondos", wie die Kinder von Einwandererfamilien genannt werden, immer wieder geführt wird, echauffieren sich im Vorfeld der Partie Serben über ein Instagram-Posting.
Spiel voller Spannungen?
Ende Mai veröffentlichte Shaqiri, der beim englischen Verein Stoke City unter Vertrag steht, ein Foto von seinen Schuhen. Auf dem linken ist das Schweizerkreuz zu sehen, auf dem rechten prangt die Flagge des Kosovo. Das wird in einigen serbischen Medien als Provokation gewertet. Die Republik Serbien erkennt die 2008 proklamierte Unabhängigkeit nicht an, sieht den Kosovo als autonome Provinz, über die sie keine Oberhoheit hat. Völkerrechtlich ist der Status des knapp zwei Millionen zählenden Staates umstritten. Von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen erkennen ihn 112 an. Lucas Schubert von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belgrad klärt im Interview mit kurier.at über die Bedeutung der Region für Serbien auf: "Sie wird aufgrund zahlreicher Klöster und der verlorenen Schicksalsschlacht am Amselfed, als die Osmanen ein serbisches Koalitionsheer besiegten, als das kulturelle Herzstück der Nation angesehen. Heute lebt noch immer eine große serbische Minderheit dort."
Unter dem Posting entbrannte eine nicht zitierbare Diskussion mit zahlreichen Beleidigungen. Das Online-Portal Srbin.info sprach in Anspielung auf den Kosovokrieg von 1999 von einem "begonnenen Sonderkrieg", in der Tageszeitung Kurir meldete sich Aleksandar Mitrović in dem Artikel "Serbiens Angreifer vernichtet alle Albaner aus der Schweizer Nationalmannschaft in zwei Sätzen" zu Wort: "Ihr Ding ist es, diese Fußballschuhe anzuziehen und sich damit zu fotografieren. Unsere Aufgabe ist es, so gut zu spielen, als ob es das letzte Spiel unserer Karriere wäre." Einen Seitenhieb auf die Herkunft seiner heutigen Gegenspieler konnte er sich nicht verkneifen: "Wenn sie den Kosovo so sehr lieben, wieso verteidigen sie dann die Farben anderer Länder?"
Eine Frage, die auch bei den Eidgenossen gestellt worden ist. Die Schweiz ist das Zentrum der albanischen Diaspora, die Zahl der Eingebürgerten und albanischstämmigen Menschen wird auf 200.000 geschätzt. Regelmäßig keimt das Thema auf, weshalb die "Secondos" die Nationalhymne nicht singen und ob sie sich mit der Schweiz identifizieren.
Juventus-Verteidiger Stephan Lichtsteiner nahm vor sechs Jahren in einem Interview eine Unterscheidung in "richtige" und "andere" Schweizer vor und legte seine Sicht auf Identifikationsfiguren dar: Spieler mit Migrationshintergrund könnten dies nicht sein. Lichtsteiner bediene sich am Vokabular der rechten Szene, schreibt der Journalist Mämä Sykora im Fußballmagazin ballesterer: "Er wies darauf hin, dass nicht jeder mit einem roten Pass ein 'echter' Schweizer sein dürfe." Teamchef Vladimir Petković wurde vorgeworfen, aufgrund seiner bosnisch-kroatischen Herkunft Spieler vom Balkan zu bevorzugen. In der NZZ konterte er diesen Vorwürfen: "Sicher stört es einige, wenn einer mit der Namensendung -ic Erfolg hat." Vor der EM 2016 dürfte er aus Ärger über die Berichterstattung der Deutschweizer Medien eine Konferenz auf Italienisch gehalten haben.
Politik spielt mit
Beide Lager zeigen sich im Vorfeld beschwichtigend, damit es nicht zu unschönen Szenen kommt. Erinnerungen an das EM-Qualifikationsspiel zwischen Serbien und Albanien aus dem Jahr 2014 sind auf dem Balkan noch relativ frisch. Eine Drohne mit einer Flagge Großalbaniens, auf der serbische Gebiete beansprucht werden, wurde ins Belgrader Partizan-Stadion geflogen und sorgte für Tumulte bei Fans und Spielern. Als der Serbe Stefan Mitrović die Flagge abmontierte, stürzte sich Taulant
Shaqiri zeigt sich bemüht, die Situation nicht eskalieren zu lassen. "Viele Leute denken, dass es hier um Politik geht und erwarten viel, vor allem weil ich aus dem Kosovo stamme. Serbien hat gegen Kosovo gekämpft – aber das ist jetzt nur ein Fussballspiel und nicht mehr", zitiert ihn BlicSport. Auch Behrami betont, kein Interesse an einem politischen Spiel zu haben. "Serbien ist ein normaler Gegner für mich. Ich habe in kosovarischen Zeitungen gelesen, dass Serbien nun gegen 'unsere' Kosovo-Spieler antreten müsse“, sagte der 33-Jährige vor der WM: "Was soll das? Ich spiele für die Schweiz." Serbiens Coach Mladen Krstajic schlägt in die selbe Kerbe: "Ich bin aus einem Land mit mehreren Kulturen, aus Bosnien. Mein Vater ist Montenegriner, meine Mutter Serbin. Ich bin ein internationaler Mensch. Die Nationalität ist für mich nicht relevant, dafür aber, dass die Schweiz ein gutes Team ist – und ein extrem multikulturelles."
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