Die waren es in verhängnisvoller Art auch vor 53 Jahren, als es bei Olympia ’72 in München zur Geisel-Tragödie kam. Ein neuer Film dazu ist in heimischen Kinos zu sehen. Titel: September 5.
Am 4. September hatte ich als Olympia-Neuling den Leichtathletik-Trainer (und Gatten der Mehrkampf-Weltrekordlerin und späteren Innenministerin Liese Prokop) Gunnar Prokop ins olympische Dorf begleiten dürfen.
Nirgendwo wurde man zur Ausweisleistung angehalten. Die Freiheit schien grenzenlos.
„Schau Bua, Juden wohnen neben Arabern“, sagte Prokop, auf ein weißes Haus mit israelischer Fahne deutend. „Das ermöglicht nur der Sport.“ Ein fataler Irrtum. Denn anderntags drang ein Terrorkommando ins Olympia-Quartier der Israelis ein, tötete den Ringertrainer Mosche Weinberg und den Gewichtheber Yossef Romano, machte die anderen israelischen Olympia-Teilnehmer zu gefesselten Geiseln.
Der Film zeigt aus Sicht der ABC-Fernsehprofis, wie sie journalistisch funktionierten; wie sie, zumal sich der US-TV-Konzern ABC erstmals die dollarmillionenschweren Olympia-TV-Rechte gesichert hatte, nicht in Schockstarre verfallen durften; wie der deutsche Innenminister Hans Dietrich Genscher vor dem Haus in der Connollystraße 31 stand, auf ein Einlenken der Geiselnehmer hoffend; wie der Vorhang an einem Fenster, hinter dem sich die Terroristen aufhielten, zugezogen wurde; und wie zwei Hubschrauber Stunden später mit den Geiseln an Bord abhoben.
Vom Balkon im dritten Stock des Medienquartiers nahe dem Athleten-Dorf und zugleich auf einem kleinen Schwarz-weiß-Apparat sah ich die Helikopter fliegen.
Falschmeldung
Noch am selben späten Abend hieß es hochoffiziell, dass alles gut ausgegangen sei, die Geiseln unversehrt freigekommen wären. Eine Falschmeldung, deren Zustandekommen bis heute ungeklärt blieb.
Tatsache war, dass es auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck zu einem wilden Schusswechsel kam. Den nebst einem Polizisten keine der neun Geiseln überlebte.
Und dass – so lässt sich in die filmische Aufarbeitung hineininterpretieren – die Rettung der Geiseln auch deshalb missglückte, weil die Terroristen durchs TV über die Absichten der Polizei informiert waren. Zum Unterschied von Olympiasportlerinnen.
„Anders als die Männer hatten wir Frauen auf unserer Etage nicht einmal einen Fernseher“, erinnert sich die ehemalige Hochsprungweltrekordlerin Ilona Gusenbauer. Die Wienerin dominierte noch die Titelseiten des verhängnisvollen 5. September, nachdem sie, nur übertroffen von der deutschen Sensationssiegerin Ulrike Meyfarth (1,92 mit dem damals für Frauen noch unüblichen Flop-Stil) ebenso wie die Bulgarin Yordanka Blagojewa 1,88 gemeistert hatte. Die über den Terror nur halbinformierte Gusenbauer bekam Bronze. „Und Drohbriefe.“
Wirklich bewusst wurde Ilona (die heute, in Neulengbach lebend, wieder künstlerisch tätig ist) das wahre Ausmaß der Geiselnahme erst bei der Trauerveranstaltung im Münchner Olympiastadion, als IOC-Präsident Avery Brundage die Fortsetzung der Spiele verkündete. „Und mich die neben mir stehende Blagojewa fragte: Was tun wie eigentlich hier?“
Blagojewa hatte gar erst durch die Trauerveranstaltung im Stadion von der Geiseltragödie erfahren. Zumindest das wäre im heutigen Handy-Zeitalter undenkbar.
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