Kiesenhofer: „Vom Radsport zu leben – das schaffen nur die Besten“

Die Spezialistin in ihrem Element: Anna Kiesenhofer auf der Zeitfahrmaschine
Die 31-jährige Olympiasiegerin hat ihren Job an den Nagel gehängt und versucht sich zum zweiten Mal als Profi.

Es gibt sie, die kleinen Wunder. Schlag nach bei Anna Kiesenhofer: Die Mathematikerin von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne, die im Juli 2021 in Tokio sensationell Olympia-Gold im Straßenrennen geholt hatte, ist inzwischen Profisportlerin.

„Ich kann jetzt von meinem Sport leben“, berichtet die 31-Jährige auf dem Weg zu einem anderen ... nun ja, wundersamen Ereignis, denn an diesem Donnerstag fand die Zeitfahr-ÖM in Slowenien statt. Mangels Ausrichtern suchte der österreichische Verband eine Lösung und fand sie in Novo Mesto. „Mich stört das nicht weiter“, sagt Kiesenhofer, „auch wenn es anderen nicht so passt.“

Es ist ihr zweiter Anlauf als Radprofi, wobei das Dasein der Niederösterreicherin sich doch fundamental von ihren Kolleginnen unterscheidet. Ein halbes Jahr verbrachte sie 2017 bei Lotto Soudal: „Dort hatte ich als Einsteigerin ein Taschengeld, und ich musste Rennen fahren, die ich nicht fahren wollte – und zu viele davon. Ich wollte nie Profi werden.“ Im Pulk zu fahren, das ist für sie keine Freude. In Tokio wurde sie für ihren Eigensinn samt mutigem frühen Ausreißen aus dem Feld mit Gold belohnt, und dann stellten sich auch die Sponsoren ein. „Ich mach’ jetzt mein eigenes Ding und kann mir mein Team selbst zusammenstellen“, und damit hat sie im Straßen-Radsport ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal.

Saisonrennen Nummer 3

„In anderen Sparten wie im Gravelbike (Offroad-Rennen, Anm.) gibt’s das – und im Triathlon ist es ganz normal.“ Das drückt sich auch darin aus, dass Kiesenhofer in Novo Mesto erst ihr drittes Saisonrennen bestritt. Die ersten beiden Zeitfahren hatte sie gewonnen, am Donnerstagnachmittag musste sie nach 14,4 Kilometern Christina Schweinberger um 0,23 Sekunden den Vortritt lassen.

Die Mathematikerin pausiert seit November, weil die Radsportlerin ausreichend Geld nach Hause bringt, auch für die Vorsorge. „Alles andere wäre für eine Olympiasiegerin ja auch traurig. Aber es ist als Frau irrsinnig schwierig, vom Radsport zu leben. Das schaffen nur die Besten.“

Den Ausschlag für die Kehrtwende gab freilich auch die Doppelbelastung. „Der Radsport hatte immer eine zentrale Rolle in meinem Leben: War ein Training gut, war mein Tag gut. Und leicht ist mein Job auch nicht, es gibt da kein Limit nach oben. Aber die Genugtuung ist für mich im Sport größer, als wenn ich ein Paper in einem guten Journal unterbringe.“

Und Genugtuung soll es auf noch viel geben: Vorerst ist Olympia in Paris 2024 das Ziel, zusätzlich zu Welt- und Europameisterschaften.

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