Özil: "Integrations-Träumerei" und "Alarmzeichen"
Nicht von allen Seiten bekommt der deutsche Fußballer Mesut für seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft so viel Lob wie aus der Türkei, wo Sportminister Mehmet Kasapoglu "die ehrenhafte Haltung unseres Bruders Mesut Özil von Herzen" unterstützt.
Kritik an Özil übte etwa der türkischstämmige grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir. Es sei "sehr bedauerlich, wie sich Özil jetzt äußert. Damit spielt er denen einen Steilpass zu, die unsere Demokratie ablehnen hier wie dort“, schrieb Özdemir in einer Medienmitteilung: „Mit dem Alleinherrscher Erdogan zu posieren empfinde ich als respektlos denen gegenüber, die in der Türkei gegängelt werden oder willkürlich im Gefängnis sitzen. Respekt zolle ich nur Demokraten”, führte Özdemir weiter aus. Özil sei "seiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden".
Außerdem sei es „fatal“, wie Özdemir der Berliner Zeitung sagte, „wenn junge Deutsch-Türken jetzt den Eindruck bekommen, sie hätten keinen Platz in der deutschen Nationalelf. Leistung gibt es nur in Vielfalt, nicht in Einfalt. So sind wir 2014 Weltmeister geworden. Und Frankreich jetzt.“ In der Vorwoche hatte der frühere Grünen-Chef Kritik an Özil in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als mittlerweile "eindeutig rassistisch grundiert" bezeichnet.
Özil-Rückzug als "Alarmzeichen"
Bundesjustizministerin Katarina Barley sieht die Rassismus-Vorwürfe Özils gegen den Deutschen Fußball-Bund als Signal für ein tieferliegendes gesellschaftliches Problem. „Es ist ein Alarmzeichen, wenn sich ein großer, deutscher Fußballer wie Mesut Özil in seinem Land wegen Rassismus nicht mehr gewollt und vom DFB nicht repräsentiert fühlt“, schrieb die SPD-Politikerin am Sonntagabend auf Twitter.
Mit beispiellosen Rassismus-Vorwürfen gegen Verbandschef Reinhard Grindel und andere DFB-Funktionäre hatte sich Özil zuvor aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zurückgezogen. In seiner mehrteiligen Stellungnahme vom Sonntag schrieb der gebürtige Gelsenkirchener mit türkischen Wurzeln unter anderem: „In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren.“
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel dankte Özil auf Twitter für dessen Leistungen im Nationalteam und ergänzte: "Und weil es um mehr geht: An alle Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichen Wurzeln: Wir gehören zusammen und wir akzeptieren Rassismus never ever."
AfD sieht "gescheiterte Integration"
AfD-Politikerin Alice Weidel übt sich in Polemik: "Integrations-Träumerei funktioniert nicht einmal bei Fußball-Millionären", schreibt die rechtspopulistische Bundestagsabgeordnete auf Twitter. "Mit seiner Abschiedstirade erweist sich Özil als typisches Beispiel für die gescheiterte Integration von viel zu vielen Einwanderern aus dem türkisch-muslimischen Kulturkreis".
Annette Widmann-Mauz (CDU), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, meinte auf Twitter: „Bei allem Verständnis für die familiären Wurzeln, müssen sich Nationalspieler Kritik gefallen lassen, wenn sie sich für Wahlkampfzwecke hergeben. Zugleich darf diese berechtigte Kritik nicht in pauschale Abwertung von Spielern mit Migrationshintergrund umschlagen.“
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hält nun sogar die Integrationswirkung der Nationalmannschaft für gefährdet. "Vielfalt in der Nationalmannschaft war ein tolles Vorzeigeprojekt, was durch unfähige Führungskräfte nun zu scheitern droht", schrieb Sofuoglu auf Twitter.
"Niemand muss oder soll Wurzeln verleugnen“, sagt Thomas Strobl (CDU), Baden-Württembergs Innenminister, der Bild-Zeitung. Er wünsche sich aber „ein deutliches Bekenntnis für das neue Heimatland. Und ich wünsche mir auch ein klares Bekenntnis zu unseren Werten, auch und gerade gegenüber jemandem wie Herrn Erdogan.“
Journalistenverband kritisiert "Medienschelte"
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hält Özil vor, eine „pauschale Medienschelte“ betrieben zu haben. „Wenn Mesut Özil Rassismus in deutschen Zeitungsredaktionen am Werk sieht, soll er Ross und Reiter nennen“, forderte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall in einer am Montag veröffentlichen Erklärung des Verbandes. „Dann muss darüber diskutiert werden.“
Özil hatte bei seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft beklagt, dass „bestimmte deutsche Zeitungen“ rechte Propaganda betrieben. Sie hätten ihn wegen seiner türkischen Herkunft und nicht wegen sportlicher Leistungen kritisiert. Dazu betonte der DJV-Vorsitzende, es sei richtig, dass die deutschen Medien kritisch hinterfragt hätten, warum sich Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan habe ablichten lassen. „Anders als Özil behauptet, ist ein gemeinsames Foto mit dem für die Abschaffung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei gefürchteten Autokraten politisch“, sagte Überall. „Und natürlich musste das kritische Fragen aufwerfen.“ Wenn einzelne Medien dabei die journalistischen Grundwerte missachtet hätten, sei diese Art der Berichterstattung ein Fall für den Deutschen Presserat.
Özil hatte am Sonntag in der Erdogan-Affäre sein monatelanges Schweigen gebrochen und war nach 92 Länderspielen aus dem DFB-Team zurückgetreten. Der 29-Jährige holte dabei zu einem Rundumschlag gegen seine Kritiker, die Medien und den Deutschen Fußball-Bund ( DFB), insbesondere gegen Präsident Reinhard Grindel aus. Er kritisierte „Rassismus und fehlenden Respekt“. Grindel unterstellte er „Inkompetenz“.
Aus der Türkei erhielt Özil für seine Wortmeldungen viel Zuspruch. Der türkische Justizminister Abdulhamit Gül gratulierte Özil zu seinem „schönsten Tor gegen den Virus des Faschismus“.
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