Schmerzmittelmissbrauch im Sport: "Das ist wie eine Schale Smarties"
Tennisstar Rafael Nadal hätte ohne "einige entzündungshemmende" Mittel in seinem Problemfuß nicht den French-Open-Titel holen können. Fußball-Altmeister Zlatan Ibrahimovic überstand einen Großteil der abgelaufenen Meistersaison des AC Milan mit kaputtem Kreuzband nur dank Schmerzmitteln. Liverpools Thiago kickte nach einer schmerzlindernden Injektion mit taubem Fuß im Champions-League-Finale. Der Schmerzmitteleinsatz im Spitzensport ist teilweise alarmierend.
Ärzte und Dopingexperten warnen vor dramatischen gesundheitlichen Folgen und fordern einen sensibleren Umgang mit Ibuprofen und Co. An Besserung glauben sie nicht.
Es geht um Mittel, die Fieber senken, Entzündungen hemmen oder Schmerzen betäuben, sogenannte nichtsteroidale Anti-Rheumatika (NSAR). Substanzen, deren Wirkstoffe zu schwach sind, um auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zu landen und die meist rezeptfrei zu bekommen sind.
"Das ist Missbrauch"
"Außer in Sondersituationen, wie bei chronischen Schmerzen bei Nadal, werden die Mittel von Profis oft prophylaktisch genommen. Das ist Missbrauch", sagte Sportmediziner Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Der Experte schätzt, dass je nach Sportart und Kategorie mittlerweile mehr als 50 Prozent der Teilnehmer regelmäßig Schmerzmittel nehmen.
So sehe oft der Alltag im Leistungssport aus, sagte Bloch und berichtete von Vereinen, in denen Schmerzmittel üblich seien. "Das ist wie eine Schale Smarties, fast jeder greift zu."
Experten diskutieren immer wieder, ob Schmerzmittelmissbrauch Doping ist. "Kritisch. Im Prinzip geht's um Leistungssteigerung", sagte Bloch. "Bei hoher Belastung erreichen Sportler eine Schmerzgrenze. Durch die Einnahme von Schmerzmitteln versuchen viele, diese Grenze zu verschieben, um länger Leistung zu bringen", erklärte der Experte.
Warum also nicht die Substanzen auf die Doping-Liste setzen? "Das ist ein hoffnungsloser Kampf. Beim Schmerzmittelthema ist man im Prinzip machtlos", meinte Dopingexperte und Pharmakologe Fritz Sörgel. "Das würde bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, wenn man keine Schmerzmittel nehmen dürfte."
Toxisch vergiftet
Statt Verbote zu erteilen, versucht etwa die deutsche Nada mit Athleten über die Gründe und Auswirkungen von Schmerzmittelmissbrauch zu sprechen und sinnvolle Alternativen aufzuzeigen. Neben verhaltenspräventiven Maßnahmen brauche es zusätzlich ein verändertes Verständnis im System - im Umfeld von Sportlerinnen und Sportlern genauso wie in der Gesellschaft, hieß es.
Der kroatische Ex-Fußballer Ivan Klasnic ist einer der im deutschsprachigen Raum bekanntesten Sport-Fälle beim Schmerzmittelkonsum und dessen Folgen. Er sei "toxisch vergiftet" worden, erzählte der frühere Spieler von Werder Bremen. "Weil ich Schmerzmittel bekommen habe, die ich nicht bekommen durfte." Die Medikamente hätten seine Nieren kaputt gemacht und zu drei Nierentransplantationen geführt. Ein Rechtsstreit mit seinen ehemaligen Medizinern endete 2020 mit einem Vergleich.
Neben Nieren- nennt Bloch vor allem "Leber- und Gefäßschäden" als mögliche Folgen von Dauermedikation. "Und bei Ausdauersportlern wie Marathonläufern, bei denen es im Magen-Darm-Trakt ohnehin häufiger zu Mikroblutungen kommt, können nichtsteroidale Anti-Rheumatika die Blutungen verstärken." Zudem könnten die Mittel den Heilungsprozess nach Verletzungen beeinflussen. "Regenerationsfähigkeit des Gewebes ist mitunter eingeschränkt", erklärte Bloch.
Die Liste von Sportlern, die zu Schmerzmitteln greifen, lässt sich hinter Nadal und Thiago beliebig fortführen. Der deutsche Fußball-Topmann Toni Kroos offenbarte im vergangenen Jahr, verletzungsbedingt "sechs Monate unter Schmerzmitteln" gespielt zu haben. Und der norwegische Ski-Weltmeister Henrik Kristoffersen, der 2015 einen Tag nach einem Sturz schon wieder die Piste hinabbrettern konnte, berichtete damals: "Meine Hüfte ist ganz blau. Es tut weh. Ich habe eine Schmerztablette genommen - hier bin ich."
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