Wer hat den Lenkrad-Dreh raus?
Von Tempo 310 auf 65 km/h binnen weniger Sekunden, vom siebenten in den ersten Gang – 56-mal haben die Formel-1-Piloten am Sonntag diese atemberaubende Passage in China zu bewältigen. Der Schanghai International Circuit stellt nicht nur die Maschine vor Extrembelastungen, auch der Mensch hat alle Hände und Beine voll zu tun beim Großen Preis von China (Start: 9 Uhr MESZ).
Rund 3000 Gangwechsel sind bei einem Formel-1-Rennen zu tätigen – eine Herausforderung für das Getriebe, aber auch für den Fahrer. Denn mit der punktgenauen Betätigung der Schaltwippen und dem feinfühligen Drehen am Lenkrad allein ist es längst nicht mehr getan. Das Cockpit eines Formel-1-Autos ist spätestens im Jahr 2014 zur Hightech-Kommandozentrale geworden. "Wie in ein Raumschiff" versetzt, fühlte sich der WM-Führende Nico Rosberg (Mercedes), als er bei den Wintertestfahrten das erste Mal in seinen neuen Arbeitsplatz kletterte.
Mit etwas mehr als zwanzig Hebeln, Knöpfen und Schaltern ist das Lenkrad von Mercedes noch eines der übersichtlicheren im elf Teams starken Feld. Weit chaotischer mutet auf den ersten Blick da die Schaltzentrale des Schweizer Sauber-Teams an (siehe Grafik).
100 Einstellungen
Mehr als einhundert Einstellungen können die Piloten heuer über das Lenkrad vornehmen – vom Widerstand des Gaspedals bis zum Rücklicht für Nachtrennen, von der Benzindurchflussmenge bis zum Fluss des Erfrischungsgetränks des Fahrers. "Beim ersten Mal im Simulator habe ich so viele Anweisungen von meinen Ingenieuren bekommen, dass ich mir das alles auf einmal gar nicht merken konnte", gesteht Rosberg.
Das wissen freilich auch die Ingenieure und knallen ihren Fahrern am Beginn der Saison eine Bedinungsanleitung vor die Nase, "mehrere Hundert Seiten dick", stöhnt Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel. Abgeprüft wird zwar nicht wie in der Schule, doch spätestens bei der ersten Ausfahrt wissen die Teamchefs, welcher Pilot seine Hausaufgaben in den Winterferien gemacht hat und den Lenkrad-Dreh raus hat.
Prüfungsstress kommt bei Vierfach-Weltmeister Vettel ohnehin nicht auf, der Deutsche vergleicht die Arbeit im Cockpit mit den Proben eines Musikers: "Man kann nicht auf Anhieb die besten Songs spielen."
Virtuos mit Steuer gingen in dieser Saison bisher die Mercedes-Piloten Rosberg und Lewis Hamilton um. Ihr Vorsprung in der Teamwertung beträgt nach drei Rennen bereits 67 Punkte.
100 Arbeitsstunden
Die Mercedes-Boliden von Hamilton und Rosberg sind beinahe ident – bis auf ein 1,3 Kilo schweres Detail: das Lenkrad. Hamilton bevorzugt eine andere Anordnung der Knöpfe als sein Kollege.
Der Wunsch des englischen Starpiloten war Befehl – und zwar zu einer Sonderschicht für die Mercedes-Techniker: 100 Arbeitsstunden sind nötig, um die 120 Einzelteile zu einem Lenkrad zusammenzusetzen. Der Spaß hat seinen Preis, nämlich 25.000 Euro. Weshalb die Teams es ungern sehen, wenn aus Frust nach einem Ausfall das Lenkrad durch die Luft fliegt.
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