Alain Prost: "Wir waren keine irren Draufgänger"
Er ist eine Legende, zu der niemand aufsehen muss. Und dennoch ist Alain Prost, 1,65 Meter groß, eine imposante Erscheinung in der Formel 1. Der Weg durch das Fahrerlager ist für den 64-jährigen Franzosen hart erkämpft, drei Generationen von Formel-1-Fans belagern den vierfachen Weltmeister mit Selfie- und Autogrammwünschen auf dem Circuit de Catalunya. Es ist ein historischer Boden. 1993 gewann Prost in Spanien vor Ayrton Senna und Michael Schumacher. Es sollte das einzige Mal bleiben, dass diese drei Größen gemeinsam auf einem Podest stehen.
Alain Prost, blütenweißes Hemd, graue Jeans und ein freundlicher, aber wacher Blick, hält kurz inne, als er darauf angesprochen wird.
KURIER: Monsieur Prost, welche Erinnerungen haben Sie an dieses Rennen im Jahr 1993?
Alain Prost: An das Rennen keine speziellen. Damals war es etwas ganz Normales, mit Ayrton auf dem Podium zu stehen, und auch Michael war bereits ein Siegfahrer. Heute hat es natürlich eine andere Bedeutung. Es ist ein historisches Bild, wenn man sich die Geschichten der beiden vor Augen hält.
Sind Sie dankbar, die Formel 1 überlebt zu haben?
Ich habe schon immer zu meiner aktiven Zeit gesagt, dass mir meine Gesundheit wichtiger ist als das Rennfahren. Ich hätte beinahe 1982 aufgehört mit dem Rennsport, nur zwei Jahre nach meinem Debüt.
Grund war der Unfall von Didier Pironi, der mit Ihnen in Hockenheim bei strömendem Regen kollidiert war und seine Formel-1-Karriere beenden musste ...
Genau. Es war eine schreckliche Situation. Plötzlich kritisierten mich Leute, weil ich im Regen etwas weniger Risiko nahm. Es war eine bewusste Entscheidung nach Didiers Unfall. Ich dachte, ich könnte genau so erfolgreich sein mit etwas weniger Risiko. Das hat ganz gut funktioniert. Bis heute ist mein größter Erfolg nicht nur die Titelsammlung, sondern die Tatsache, dass ich diese Ära ohne gröbere Probleme überstanden habe. Auch daran denke ich, wenn ich dieses Siegerbild von 1993 sehe.
Sennas Todestag jährte sich vor wenigen Tagen zum 25. Mal. Ihre Beziehung und Rivalität war legendär. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
Ich kann natürlich noch immer viel und lange über Ayrton und unsere Beziehung erzählen, wie unterschiedlich wir als Fahrer und Menschen waren, aber dennoch Schicksalsgenossen. Aber gewisse Sachen werde ich immer für mich behalten. Das ist etwas Spezielles, ein Geschenk. In den aktuellen Zeiten mit den Sozialen Netzwerken glaubt jeder alles über Ayrton zu wissen. Aber ganz so ist es nicht. Er war zuerst Teil meiner Rennfahrerkarriere, und mittlerweile ist er Teil meines Lebens. Jeden einzelnen Tag, egal wann und wo, habe ich eine Verbindung zu Ayrton.
Davor duellierten Sie sich mit Niki Lauda. Worin unterschied sich die Beziehung zu ihm?
Der große Unterschied war, dass wir in zwei Jahren im selben Team nie eine größere Meinungsverschiedenheit hatten. Niki war sehr direkt, das mochte ich. Wir waren Freunde. Wissen Sie, was eigenartig war, als ich gegen ihn 1984 um einen halben Punkt die WM verloren habe und neben ihm auf dem Podium gestanden bin?
Verraten Sie es uns bitte!
Ich habe mich für ihn gefreut, ganz ehrlich. Das war ein neues Gefühl für mich.
Viele Fans reden noch immer von dieser Ära, von den Rennen und Piloten. Warum hat diese Epoche so viele fasziniert?
Es war ein Mix aus verschiedenen Dingen. Die meisten Fahrer waren schon älter als es zum Beispiel die heutige Generation ist. Wir hatten Lebenserfahrung. Die zweite Sache war das Risiko, das wir eingingen. Obwohl es einen großen Unterschied gab, wie wir uns selbst wahrgenommen haben und wie uns die Fans gesehen haben. Die dachten, wir sind irre Draufgänger. Das stimmte so nicht ganz, die meisten kalkulierten das Risiko sehr genau. Aber die Zuschauer konnten nachvollziehen, was wir im Auto leisten mussten. Unsere Wagen waren nicht so perfekt wie heute, sondern launisch, fast schon menschlich, hatten Herz und Seele. Und wissen Sie, was wir taten, wenn wir eine Meinungsverschiedenheit hatten?
Was denn?
Wir haben miteinander gesprochen, und, wenn es sein musste, dann haben wir uns angeschrien. Wenn ich jemanden für ein Arschloch gehalten habe, dann habe ich ihm das auch genauso gesagt. Ob das klug war? Ich weiß es nicht. Aber es hat sich jedenfalls sehr natürlich angefühlt.
Hat Angst eine Rolle gespielt, wenn Sie in das Cockpit geklettert sind?
Angst hatte ich nie, aber ich habe immer über das Risiko nachgedacht. Mein Zugang war: Ich optimiere jeden Bereich an mir und meinem Auto, damit ich ein kleines bisschen weniger Risiko nehmen muss.
Wann haben Sie zum letzten Mal ein Rennauto gesteuert?
Ich bin erst vor Kurzem in einem alten Alpine-Rallyeauto gesessen, und bei Legendenrennen fahre ich immer wieder meine alten Formel-1-Wagen. Ich kann es noch, aber es erfüllt mich einfach nicht mehr mit so viel Freude.
Sie sind für große Namen wie Williams, McLaren und Ferrari gefahren, Teams, die derzeit die Erfolgsspur suchen. Ist es dort ein wenig schwieriger, zu gewinnen?
Die Geschichte einer Marke in der Formel 1 kann dir einen Vorteil verschaffen, gleichzeitig aber auch sehr viel Verantwortung und Druck auferlegen. Manchmal siegt dann eben das Herz über den Verstand.
Auch das Renault-Werksteam, das Sie beraten, sucht den Anschluss an die Spitze. Warum ist es selbst für einen großen Hersteller so schwierig, die Lücke zu schließen?
Es überrascht mich nicht, dass es so langwierig ist. Sie müssen sich einmal anschauen, wie viel Aufwand und Geld nötig sind, um an der Formel 1 überhaupt teilzunehmen. Vom Erfolg reden wir da noch nicht. Dazu kommt, dass sich die Formel 1 für mich in die falsche Richtung entwickelt. 80 Prozent der Leistung eines Autos macht die Aerodynamik aus. Und wissen Sie, was Aerodynamik ist? Teuer und aufwendig. Renault hat zwar eine gewaltige Historie im Motorsport, aber eine ganz andere Philosophie als Mercedes oder Ferrari.
Welche denn?
Wir werden nie so viel für die Formel 1 ausgeben wie diese zwei Marken. Weil Renault als Generalist Straßenfahrzeuge für Jedermann baut und deshalb überall dabei sein will, nicht nur in der Formel 1. Dennoch wollen wir uns in naher Zukunft mit Ferrari und Mercedes an der Spitze messen.
Gefällt Ihnen die aktuelle Formel 1?
Ich mochte jede Ära, und ich mag auch diese. Natürlich kann man es immer besser machen, und die vier Doppelsiege von Mercedes sind nicht ideal, aber eigentlich konnte vor Saisonstart niemand damit rechnen. Wenn man es positiv sehen will, kann man auch sagen, dass der WM-Auftakt 2019 eine Riesen-Überraschung ist.
Kommentare