Vettels Flucht in den Schatten
Die Szenerie kennt kein Erbarmen mit dem schnellsten Mann der Formel 1. Einen kurzen Moment für sich hätte sich Sebastian Vettel, 24, wohl gewünscht an diesem heißen und schwülen Nachmittag in Malaysia, wo am Sonntag der zweite Lauf zur Formel-1-WM ausgetragen wird (10 Uhr MESZ/live ORFeins, RTL und Sky Sport). Nur einen Augenblick. Um vielleicht sein Gesicht vom Schweiß zu befreien oder die von der Anstrengung kurze Atmung in den Griff zu bekommen.
Doch nicht in diesem Moment, der sinnbildhaft für die Situation des jüngsten Doppelweltmeisters der Geschichte und seinem Arbeitgeber, Red Bull, stehen könnte. Erschöpft von der Hatz nach McLaren, dessen Piloten auch das zweite Qualifikationstraining der Saison dominiert hatten.
Klick, klick, klick – aus Dutzenden Fotoapparaten. Es werden keine schönen Fotos des Deutschen.
Vorbildlich
Sebastian Vettel ist der Mann, auf den die Objektive gerichtet sind. Der Perfektionist. Das Jahrhunderttalent. Neben Basketball-Riese Dirk Nowitzki ist der Rennfahrer derzeit Deutschlands einziger Star im Weltsport. Erst vor wenigen Wochen wurde Vettel mit der höchsten Auszeichnung für deutsche Sportler, dem Silbernen Lorbeerblatt, ausgezeichnet.
„Ich werde mich wegen der Auszeichnung wohl eher nicht verändern", sagte Vettel.
Doch der rasante Aufstieg des wortgewandten Hessen, der in den letzten fünf Jahren so ziemlich jeden Altersrekord in der Königsklasse pulverisiert hat, hat Begehrlichkeiten geweckt: von Medien, von Fans, von Sponsoren.
Verlockend
Noch immer verzichtet er auf ein professionelles Management im privaten Bereich, noch immer lehnt er die Mehrheit der Werbeanfragen ab. Mehrere Millionen Euro habe er dadurch 2011 auf der Strecke liegen lassen, schätzen Branchenexperten.
Das ist bei einem Jahreseinkommen von 16 Millionen freilich leichter zu verkraften. Viele seiner nicht minder schlecht bezahlten Kollegen sehen das dennoch anders. „Wenn ich abends in den Spiegel schaue, möchte ich noch mich selbst sehen. Dazu gehört auch, dass ich zu meinen Partnern stehen kann", erklärt Vettel an einem Februar-Abend im Rahmen der Testfahrten in Barcelona. Allmählich verschwindet das Business von der Rennstrecke und aus Vettels Antworten. Ausdauernd hat er zuvor die immer gleichen Fragen mit dem immer gleichen Charme beantwortet: zu Titel Nummer drei, zum Allzeitrekord von Michael Schumacher, zur Anziehungskraft von Ferrari. Auch seine Langzeitfreundin Hanna war Thema. Bei einem Besuch des FC Barcelona waren offizielle Fotos des Paares – eine Seltenheit – entstanden.
Vettel ahnt, wohin die Reise zwangsläufig gehen wird. Seine Person ist nicht mehr nur Bestandteil kluger Analysen und reißerischer Jubelgeschichten auf den Sportseiten, sondern vermehrt auch in den Klatschspalten. „Manchmal gibt es sogar Typen, die vor deinem Haus rumhängen", sagt Vettel. Er nimmt es noch locker. Die Schweiz, wo neben Vettel auch die Champs Alonso, Räikkönen und Schumacher leben, geht rücksichtsvoll mit seinen Stars um – und zwar nicht nur, was steuerliche Abgaben betrifft.
Sebastian Vettel gilt als Widerspruch im Grand-Prix-Sport. Seine Perfektion wirkt spielerisch, sein Auftreten ist ungewohnt direkt und dennoch massentauglich. „Es ist nicht so, dass ich mir jedes Mal denke, wenn ich das Fahrerlager betrete: ‚So ein Scheiß!`" Denn: „Die Zufriedenheit, die ich habe, wenn ich im Auto sitze und fahre, habe ich noch nirgends anders gefunden."
Verliebt
Vettel liebt den Sport und seine Geschichte, er verehrt die Legenden: den charismatischen Senna, den verwegenen Hunt, den sagenumwobenen Rindt. Verklären möchte er die Zeit nicht: „Früher war alles gefährlicher, aber dicke Eier brauchen auch wir noch."
Zum Schluss bricht er noch eine Lanze für seine Kollegen: „Es gibt genügend gute Typen im Fahrerlager. Aber wir haben einfach zu wenig Raum und Zeit, das zu zeigen. Es ist einfach unnatürlich in unserer Zeit, dass zwei oder drei Fahrer am Samstag auf ein Bier gehen."
Für eine After-Work-Party mit Sebastian Vettel braucht man ohnehin Geduld. Bei seiner WM-Feier in Suzuka 2011 erschien er als einer der Letzten. Die Rennanalyse hatte ihn aufgehalten. Am Ende schimmert doch immer der Perfektionist durch.
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