Toto Wolff und der Weg zurück: "Dritte Plätze sind supergefährlich"
Vor exakt zehn Jahren stieß der Wiener zu Mercedes und wurde zum erfolgreichsten Teamchef der Formel 1. Dann kam der Einbruch. Nun wartet die größte Herausforderung seiner Karriere.
Den Abend des 51. Geburtstags am Donnerstag verbrachte Toto Wolff ganz nach seinem Geschmack: alleine im Flugzeug, denn „geboren worden zu sein, ist ja keine Leistung von mir“.
Leistung, dieses Wort wird oft fallen im Gespräch mit dem Teamchef und Miteigentümer des Formel-1-Rennstalls von Mercedes. Es bestimmt den Alltag des Wieners, der exakt vor zehn Jahren bei den Silberpfeilen übernommen und seither eine Ära begründet hat, die einzigartig ist im Rennsport. Sieben Fahrer- und acht Konstrukteursweltmeisterschaften in Folge fuhr sein Team ein, bis 2022 Schluss war mit den Trophäen.
KURIER:Sie haben in den Jahren des Erfolgs immer betont, dass es irgendwann vorbei sein wird. Sind Sie zufrieden, recht gehabt zu haben?
Toto Wolff: Ich wünschte, es wäre anders gewesen. Aber es ist leider ein normaler Zyklus im internationalen Sport. Dass der Dämpfer kommt, war klar, jetzt liegt es an uns, dass 2022 ein Ausreißer bleibt und nicht der Beginn einer neuen Ära.
Gewöhnt man sich an dritte Plätze?
Leider. Und das ist supergefährlich. Der menschliche Kopf ist ein interessantes Ding. Wenn du oft Fünfter bist, fühlt sich ein dritter Platz wie ein Riesenerfolg an. Das reicht uns aber nicht. Gegen diese Zufriedenheit kämpfen wir an. Und deshalb war es so wichtig, dass wir vergangenes Jahr dieses eine Rennen gewonnen haben. Ich dachte nicht, dass es wichtig ist, aber es hat uns daran erinnert, wie unvergleichlich es ist, ganz oben zu stehen. Gleichzeitig hat uns das letzte Jahr schmerzlich gezeigt, wie schnell es gehen kann und man weg ist von der Spitze.
Sie haben vor einigen Jahren mit dem Gedanken gespielt, etwas kürzer und in den Hintergrund zu treten. Gab es Momente, in denen Sie es bereuen, nicht als Seriensieger abgetreten zu sein?
Die Frage des Zurücktretens stellt sich nicht, weil es meine Firma ist. Sie liegt mir am Herzen. Ich werde erst etwas ändern, wenn ich das Gefühl habe, zum großen Ganzen nichts mehr beitragen zu können. Der Wettbewerb ist schon das, was mir noch immer am meisten Spaß macht.
Der Wettbewerb in der Formel 1 gilt als brutal. Was ist nötig, um zu Weltmeister Red Bull mit Max Verstappen aufzuschließen? Diese Frage beschäftigt Wolff und sein Team aus rund 2.000 Mitarbeitern rund um die Uhr. Die Maschinen, die die mehr als 40.000 Teile für den neuen Silberpfeil für den Saisonstart am 5. März herstellen, laufen Tag und Nacht. 250 Ingenieure kümmern sich ausschließlich darum, das neue, rund 130 Seiten starke Regelwerk zu verstehen und mögliche Schlupflöcher zu finden.
Was ist wichtiger für Ihren Job: Ehemaliger Rennfahrer gewesen zu sein, oder zu wissen, was unternehmerischer Erfolg ist?
Ich habe meine Nische gefunden. Als Ex-Pilot habe ich ausreichend Erfahrung, um den ganzen Bullshit filtern zu können – sei es von den Fahrern oder von den Ingenieuren, die mir irgendetwas auftischen wollen. Auf der anderen Seite war ich als Investor bei vielen Wachstumsphasen unterschiedlicher Unternehmen dabei. Die Rolle des Formel-1-Teamchefs trifft beides ziemlich genau.
Wall Street oder Waldviertel-Rallye, wo fühlen Sie sich wohler?
Definitiv bei der Rallye, weil man dort die normaleren Menschen trifft – an der Strecke, in den Gasthäusern. Und natürlich ist da noch die Kunst des Rallye-Fahrens an sich, die Kameradschaft innerhalb der Gemeinde. Ich habe das immer sehr genossen. Gleichzeitig möchte ich nach ein paar Tagen auch meine Finanzzeitung wieder in die Hand bekommen.
Bei Ihren früheren Investments haben Sie kaum eine operative Rolle eingenommen. Wann haben Sie gemerkt, dass es Ihnen liegt, auch die Geschäfte und Tausende Mitarbeiter zu führen?
Auch Mercedes war für mich lange ein Investmentprojekt, das drei Jahre läuft und dann bewertet wird. Nach den zweiten drei Jahren hab’ ich gespürt, das sich etwas verändert. Es ging mir nicht mehr um den persönlichen Deal aus einem Verkauf, ich wollte als Unternehmer langfristig engagiert bleiben. Das hat rationale Gründe, weil ich an Live-Sport als Geschäftsmodell glaube. Rennsport ist aber auch meine Leidenschaft. Entscheidend ist, dass ich ein Management habe, das es mir erlaubt, meine Stärken einzubringen.
Welche sind das?
Ich brauche immer viel Zeit, um über die großen Dinge nachdenken und dann die richtigen Strategien vorgeben zu können.
Was sind Ihre Schwächen?
Ich war nie jemand, der in großen Unternehmensstrukturen gut funktioniert hat. Ich brauche ein Netzwerk, damit das, worüber ich nachdenke, nachhaltig umgesetzt wird.
Mittlerweile sind Sie Gastvortragender in Harvard und Oxford. Was wollen die von Ihnen wissen?
Wie man nachhaltig erfolgreich ist. Wie man es schafft, dass sich der Körper und der Geist nicht an Erfolg gewöhnen. Die Ausgangsfrage ist: Wie lässt sich Leistung in einem der härtesten Wettbewerbe immer wieder reproduzieren? Aber dort zu referieren, ist immer noch surreal für mich, ich bin ja nichts anderes als ein Studienabbrecher.
Worauf schauen Sie selbst bei neuen Mitarbeitern?
Das Wichtigste ist mir die Persönlichkeit. Ich lese schon Lebensläufe, aber mir ist wichtig, dass wir nicht nur auf akademische Eigenschaften schauen. Integrität, Loyalität, Demut und Antrieb sind mindestens gleich wichtig für Erfolg wie die Ausbildung. Deshalb haben wir uns auch zu einer Quote bei Neueinstellung verpflichtet.
Wie sieht diese Quote aus?
In den nächsten fünf Jahre sollen mindestens 25 Prozent der neuen Mitarbeiter aus einem unterrepräsentierten Umfeld kommen. Das bedeutet, wir schauen nicht mehr nur nach Cambridge und Oxford, sondern wir weiten unseren Blick. Das machen wir jedoch nicht nur um gesellschaftlich Gutes zu tun, wir glauben, dass es uns einen Performance-Vorsprung gibt. Diese Leute sind besonders ambitioniert, um diese Chance zu ergreifen. Ich bin überzeugt, dass verschiedene Meinungen und Überzeugungen dazu führen können, ein besseres Produkt, in unserem Fall ein besseres Rennauto, zu produzieren.
Wolff gilt als extrem perfektionistisch und detailverliebt. Seinen Schlafplan auf Reisen hat ein NASA-Mann entwickelt, für den Rennstall hat er einen Hygieneexperten engagiert, der den Putzplan auf den Toiletten angepasst sowie die Anordnung von Seifen- und Papierspender überprüft hat, um das Virenaufkommen zu minimieren. Wolff meint, Mercedes habe dadurch weniger Krankenstände.
Wie perfektionistisch müssen Ihre Mitarbeiter sein?
Ich versuche das schon zu übertragen, aber gleichzeitig auch, den Charakter des Einzelnen zu respektieren. Solange wir uns gegenseitig nicht auf die Nerven gehen, passt’s. Anstrengend wird es für die anderen, vor allem bei meiner Familie muss ich aufpassen. Die kann das quälen.
Zuletzt haben Sie öffentlich gemacht, dass Sie seit vielen Jahren psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Wie kam es dazu?
Es war mir wichtig, weil mentale Gesundheit noch immer von vielen als Krankheit angesehen wird. Ich hatte nun die Möglichkeit, dieses Stigma ein bisschen abzubauen. Ich fühle mich mittlerweile alles andere als schwach, und man glaubt als Außenstehender vielleicht, dass bei mir nur die Sonne scheint. Aber so ist es nicht. Ich muss immer wieder Kämpfe mit mir selbst austragen. Wofür ich auch als Beispiel tauge, ist, dass man trotzdem glücklich und erfolgreich sein kann. Wenn man mehr Sensibilität für sein Umfeld entwickelt, ist das eine Art Superkraft. Sich zu hinterfragen und sein gesamtes Tun infrage stellen, ist nichts Schlechtes.
Wie waren die Reaktionen?
Am meisten gefreut hat mich das Feedback von Therapeuten, die gesagt haben, dass ich damit viel getan habe für Männer, die entweder aus Scham ihre Therapie nicht öffentlich machen, oder es als Schwäche ansehen und deshalb erst gar keine Hilfe in Anspruch nehmen.
Wie viel Persönliches wollen Sie preisgeben?
Das mit der Therapie war ein persönliches Anliegen und eine Ausnahme. Prinzipiell gibt es zwei Dinge, über die ich kommunizieren will: das Sportliche und das Wirtschaftliche. Homestorys wird es nie geben, meine Frau Susie und ich waren und werden nie Teil des Boulevards sein. Das geht tatsächlich. Jeder, der in einem Boulevard-Magazin abgelichtet wird, ist jemand, der das in gewisser Weise auch will. Es ist eine bewusste Entscheidung.
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