"Absolut grotesk": Wenn Grundrechte neben dem Sport versanden

"Absolut grotesk": Wenn Grundrechte neben dem Sport versanden
Staaten polieren mit großen Sportveranstaltungen ihr Image auf. Die Kritik daran ist laut – und weitgehend berechtigt.

Am Donnerstag begann die fünfte Etappe der Rallye Dakar in Saudi-Arabien in der Nähe des Flughafens von Riad. Einige Kilometer entfernt sitzt seit Mai 2018 die 31-jährige Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul in einem Gefängnis, weil sie sich unter anderem für die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen eingesetzt hatte. Wenige Monate später wurde den Frauen das Autofahren erlaubt, doch Loujain al-Hathloul blieb in Haft, wo sie laut Angaben ihrer Schwester mit Schlägen, Peitschenhieben und Elektroschocks gefoltert, sexuell belästigt und mit Vergewaltigung bedroht wurde.

„Das ist absolut grotesk“, sagte Lucy Ray von der Menschenrechtsorganisation Grant Liberty dem Guardian. „Während die saudischen Behörden ein Rennen ausrichten, einschließlich weiblicher Fahrer, vegetieren die Heldinnen im Gefängnis, die ihr Recht zu fahren erkämpft haben.“

Glanz der Rallye

In einem offenen Brief wiesen 13 Menschenrechtsorganisationen auf anhaltende Grundrechtsverletzungen in Saudi-Arabien hin: „Fans, Medien und Teams sollten sich nicht vom Spektakel der Rallye blenden lassen, während Saudi-Arabien mittels Sportswashing verschleiert, dass friedliche Oppositionelle inhaftiert werden.“

„Sportswashing“ – diesen Begriff hat Amnesty International erfunden. Er bedeutet, dass Länder den Glanz des Spitzensports ausnutzen, um ihr Image im Rest der Welt aufzupolieren, von Menschenrechtsverletzungen abzulenken und sich für den Tourismus aufzuhübschen.

Beispiele dafür sind die Olympischen Sommerspiele in Peking 2008 oder die Fußball-WM 2018 in Russland. Populär wurde der Begriff bei der Wahl Aserbaidschans als Gastgeber des Endspiels der Europa League im Mai 2019.

Meister des Sportswashing ist aber Katar. Im Emirat wurde schon vor zwei Jahrzehnten begonnen, in Sportinfrastruktur zu investieren. Akademien wurden gegründet, Sportler eingebürgert oder im Ausland ausgebildet. Seit 2004 ist die MotoGP zu Gast, seitdem wurden Dutzende Großveranstaltungen organisiert, zuletzt 2019 die Leichtathletik-WM. Krönung wird 2022 die Fußball-WM sein, für die Tausende Gastarbeiter unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen sieben Stadien aus dem Boden gestampft haben. Doch klar ist: Der Glanz der WM wird alles überstrahlen.

„Im Zuge ihrer Berichterstattung über die Vergabe großer Sportereignisse an Katar oder Saudi-Arabien haben die Medien Missstände in diesen Staaten durchaus kritisch beleuchtet“, sagt Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik in Köln im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger. So wie im Vorfeld der Rallye Dakar auch über die inhaftierte Loujain al-Hathloul berichtet wurde. „Wenn die Spiele dann aber beginnen, tritt die Kritik in den Hintergrund.“

Derzeit ist die Rallye das Sportereignis, dem in den ersten zwei Wochen des Jahres weltweit die größte Aufmerksamkeit zukommt. Beachtenswert war am Mittwoch auch der Besuch von FIFA-Präsident Gianni Infantino bei Sportminister Prinz Abdulaziz bin Turki Al-Faisal. Bei dem Gespräch soll es auch um die Entwicklung des Frauenfußballs im Land gegangen sein.

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Sportminister Turki Al-Faisal und FIFA-Präsident Infantino

Weiter geht es in Saudi-Arabien Ende Februar, wenn die Formel E mit zwei Nachtrennen in Diriyah in ihre Saison startet; und Ende November wird erstmals ein Grand Prix der Formel 1 in Dschidda stattfinden – und die Proteste werden besonders laut sein.

Verbindendes Element

Den Kritikern widerspricht naturgemäß Ex-Formel-1-Boss Chase Carey: „Sport bietet die Möglichkeit, Dinge zum Besseren zu wenden. Sport hat Grenzen überbrückt, Menschen und Kulturen zusammengebracht.“ Prinz Khalid Bin Sultan Al Faisal, der Präsident des saudi-arabischen Motorsportverbandes, sieht das Formel-1-Rennen als Teil eines Prozesses, den sein Land durchläuft: die Öffnung gegenüber dem Rest der Welt. „Der Grund für unser schlechtes Image war, dass unser Land geschlossen war“, sagt er. „Wir wollen, dass die Menschen kommen und sehen, wer wir wirklich sind. Wir haben nichts zu verbergen.“

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