Kugelsicher zum Formel-1-Volksfest in Mexiko-Stadt

Der umgebaute Kurs führt durch ein altes Baseball-Stadion und bietet eine grandiose Atmosphäre.
Mexiko feiert die Rückkehr der Formel 1, ein Spektakel ist es vor allem für die Oberklasse.

Sechs Uhr abends in "Chilangolandia". Das Hupkonzert der Autos wird nur durch das schrille Sirenengeheul der Rettungsfahrzeuge durchbrochen, die versuchen, einen Weg durch den Verkehr zu finden, der zum Erliegen gekommen ist. Knaller und Feuerwerkskörper explodieren, denn in der nahegelegenen Kirche San Hipolito wird ein Fest zu Ehren Judas Taddeus gefeiert. Pfiffe und Schreie eines Demonstrationszuges von Regierungsgegnern hallen durch die Avenida de la Reforma.

Würden die V6-Motoren der Formel-1-Boliden jetzt hier aufheulen, kein Mensch würde davon Notiz nehmen in einer der lautesten Metropolen der Welt.

Rund 21 Millionen Chilangos leben hier. Chilangos, so nennen sich die Einwohner von Mexiko-Stadt. Deshalb ist die Hauptstadt auch bekannt als "Chilangolandia". Ursprünglich waren die Chilangos die mittellosen Einwanderer, die aus den verschiedenen Bundesstaaten kamen, um ihr Glück in der Großstadt zu versuchen. Mittlerweile nennen sich aber alle Chilangos, egal ob in der Hauptstadt geboren oder zugewandert.

Vier Millionen Autos

Einen guten Teil des Tages verbringen sie in den Straßen, im Stau. Der Verkehr fließt im Idealfall nur langsam, oft bleibt er ganz stehen. Kein Wunder bei vier Millionen Fahrzeugen. Dabei besitzt nur jeder fünfte Einwohner einen eigenen Pkw.

Der öffentliche Verkehr, ein U-Bahnnetz mit elf Linien und vielen Bussen, gilt als antiquiert und ineffizient. Deshalb leisten sich viele die Fahrt im Taxi. Das ist billig und bequem. "Die U-Bahn ist immer überfüllt", meint Edith Pérez, eine 47-jährige Bankangestellte.

Sie kommt mit dem Taxi zum Autódromo Hermanos Rodríguez, wo dieses Wochenende der Formel-1-Zirkus zum ersten Mal seit 23 Jahren wieder hält. Und ein Taxi ist immer leicht zu finden, denn Mexiko-Stadt hat die meisten Taxis der Welt.

Der Große Preis von Mexiko ist eine exklusive Veranstaltung. Edith Pérez hat ihre Eintrittskarte von ihrem Chef erhalten, ihre Bank bekam ein Kartenkontingent.

Aber wo sind die Chilangos? Im ursprünglichen Sinn des Wortes? "Nur die Reichen haben genug Geld für ein Ticket", sagt Taxifahrer Gustavo Morillo und zeigt auf die anderen Autos, die kaum vorankommen. "Der Rest, die Mittelklasse und die Armen, die sind hier rundherum." Die Reichen findet man nicht nur an der Rennstrecke der Formel 1. In ihren Vierteln Polanco, Condesa und Roma sorgen Polizeistreifen und private Wachdienste vor den großen Hotels und Luxusgeschäften für Sicherheit.

Der Formel-1-Tross besucht mit São Paulo jährlich eine Stadt am sozialen Abgrund, aber in Mexiko Stadt erscheinen die gesellschaftlichen Gegensätze noch größer. "Es ist eine schöne Stadt, aber nicht, um hier zu leben", sagt Miroslava Vargas, Verkäuferin im Zentrum der Stadt. "Es gibt viele Verbrechen, Korruption, Verkehr, Luftverschmutzung. Trotzdem hat die Stadt eine einzigartige Seite."

Die Gewalt im Land hat viele Einwohner erschüttert und lässt sie an der Zukunft zweifeln. Nach dem Massaker an 43 Studenten in Guerrero im November haben Präsident Enrique Peña Neto und seine Regierung das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Laut einer Umfrage stehen nur noch 35 Prozent der Bürger hinter ihm.

Geflohener Drogenboss

Kugelsicher zum Formel-1-Volksfest in Mexiko-Stadt
Police stand on a bridge as traffic moves slowly in Mexico City September 25, 2013. Groups of demonstrators interrupted traffic in different areas of Mexico City in protest against Mexican President Enrique Pena Nieto's education reforms, according to local media. REUTERS/Henry Romero (MEXICO - Tags: POLITICS EDUCATION CIVIL UNREST)
Nochmals verschlimmert hat sich das Bild, als im Juli einer der größten Drogenbosse, Joaquín "El Chapo" Guzmán, ohne Hindernisse aus dem Hochsicherheitsgefängnis entkommen konnte. "Peña Neto ist nicht fähig, Präsident zu sein", meint Abel Martínez. "Wir werden immer ärmer, während die Reichen immer mehr Privilegien genießen. Wir zahlen hohe Steuern und haben nie etwas davon. Den Leuten reicht es. Ich weiß nicht, ob wir irgendwann dagegen revoltieren werden. Aber ich weiß auch nicht, ob wir nicht sehr weit davon entfernt sind", sagt der 53-Jährige. Von Revolte spürt man nichts in Mexiko-Stadt. Aber die Unzufriedenheit ist groß.

In den Tagen vor dem Formel-1-Rennen gab es zahlreiche Demonstrationen im Zentrum der Stadt. Die Polizei zeigt Präsenz und sperrt die Straßenzüge für die Demonstranten ab, Konfrontationen blieben aus.

Die Reichen fluchen

Unzufrieden gehen die Chilangos ihrem Alltag nach, kaufen schnell ihre Tacos, die es an jeder Straßenecke günstig zu kaufen gibt – eine wahre nationale Leidenschaft. Einige Reiche verfluchen zur gleichen Zeit den höllischen Verkehr auf ihrem Weg zum Autódromo Hermanos Rodriguez. Die meisten sitzen dabei in kugelsicheren, abgedunkelten Luxusfahrzeugen.

(aus Mexiko-Stadt)

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