Plötzlich zählt das große Ganze und nicht mehr der Rennsieg – etwas das mit Aston Martin sowieso außer Reichweite scheint. Seine Mechaniker mussten jedenfalls in Melbourne ganze Arbeit leisten, damit Vettel überhaupt an den Start gehen kann. Nach einem Unfall war die Radaufhängung kaputt. Dank Schnellreparatur schaffte es Vettel noch auf den 18. Startplatz.
Nach seinen Rennen sammelt der 34-Jährige Müll auf den Tribünen, er setzt sich für das Überleben der Bienen ein, er gibt zu, die Grünen zu wählen und unterstützt Fridays for Future. Als Russland in die Ukraine einmarschierte, war Vettel der Erste, der sich zum GP in Sotschi klar deklarierte: „Ich werde dort nicht fahren!“ Und er präsentierte seinen Helm in Ukraine-Farben. „Ich möchte niemanden bekehren“, sagt er. „Aber ich habe Farbe bekannt.“
Der Aston-Martin-Pilot hat im Jahr 2022 mehr zu sagen als Stehsätze zur Formel 1. Er wurde zum gefragten Gesprächspartner zu Themen, die weit über den Sport hinausgehen oder diesen kritisch hinterfragen.
Für einen Autorennfahrer Bemerkenswertes sagte er zuletzt in einem Podcast mit der deutschen Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer. Das Wort „Klimawandel“ fände er falsch, es müsse „Klimakrise“ heißen. „Das Wort Krise sollte in uns allen das Gefühl entwickeln: Wir müssen etwas tun und wir können etwas tun. Eine Krise will man ja nicht unendlich lang ertragen müssen.“ Je mehr er über das Thema lerne, desto schlechter gehe es ihm. „Ich habe Angst, dass meine Kinder diese Freiheiten und Unbekümmertheit die ich hatte, nicht mehr erleben dürfen.“
Ideen und Ansätze gäbe es reichlich, doch die Politik würde viel zu unentschlossen agieren. Genau das ist das große Problem für den Mann, der aus der Formel 1 kommt mit ihrem lösungsorientierten Zugang, wo die klügsten Köpfe alles dafür geben, die Leistung zu optimieren, „auf der anderen Seite haben wir als Menschheit diese Monster-Challenge vor uns und wir machen nichts dagegen.“
Dass der ökologische Fußabdruck eines Formel-1-Fahrers enorm ist, ist ihm bewusst. Dabei sind gar nicht die von den 20 Rennautos verursachten Emissionen das Problem, diese verursachen gerade einmal ein Prozent des CO2-Ausstoßes des Formel-1-Trosses.
Ausschlaggebend sind die vielen und langen Flüge. Zwar wird Vettel in Zukunft zu den Rennen nach Imola oder Barcelona nicht mehr fliegen, dennoch: „Jedes Mal, wenn ich in den Flieger steige, wird mein Fußabdruck nicht kleiner, sondern größer. Logische Konsequenz wäre, das Lenkrad an den Nagel zu hängen und aufzuhören. Aber erstens wird es sofort jemand anderen geben, der das Lenkrad wieder vom Nagel nimmt und statt mir weiterfährt. Und zweitens glaube ich, dass ich viele Leute mit dem Thema erreichen kann und auch den Sport in die Pflicht nehmen kann.“
So sind unter anderem seit dieser Saison die Militär-Flugshows vor Rennstart verboten, um den CO2-Ausstoß der Veranstaltung zu reduzieren. Passagiermaschinen dürfen allerdings weiter für Demozwecke über die Start-Zielgerade fliegen. „Das ist kompletter Schwachsinn. Das Flugzeug fliegt zweieinhalb Stunden, der Flieger ist leer. Da habe ich mir ausgerechnet, dass das 40 Tonnen CO2 sind, die man einfach hätte vermeiden können. Das sind mindestens vier deutsche Haushalte im Jahr.“
Auch der Sport selbst müsse sich wandeln, etwa auf synthetische Treibstoffe setzen: „Wenn die Formel 1 in unserer Zeit nicht mehr vertretbar ist, werden wir irrelevant.“
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