Formel-1-Legende Gerhard Berger: "Ich bin etliche Male dem Tod entkommen"

Der letzte Sieg: Gerhard Berger (Mitte) mit Mika Häkkinen und Michael Schumacher.
Der frühere Formel-1-Pilot Gerhard Berger (66) wird am Mittwoch in Wien ausgezeichnet. Im Interview spricht er über sein Leben am Limit.

Gerhard Berger (66), Helmut Marko (82) und Toto Wolff (52). Drei österreichische Formel-1-Größen werden am Mittwochabend bei der Lotterien-Sporthilfe-Gala (20.15/ORF 1) mit dem NIKI ausgezeichnet, einem Special Award für Persönlichkeiten, die Sportgeschichte geschrieben haben. Immer noch mittendrin in der Formel 1 sind Marko als Red-Bull-Motorsportberater und Wolff als Mercedes-Teamchef. Berger hingegen wirft einen Blick zurück auf seine Zeit in der wichtigsten Rennserie der Welt.

KURIER: Herr Berger, Sie bekommen einen Award, den zuvor nur Größen wie Maier, Schwarzenegger, Moser-Pröll, Krankl, Thiem oder Lauda bekommen haben. Was bedeutet Ihnen das?

Gerhard Berger: Früher war mir so etwas egal. Aber je älter man wird, desto mehr bedeutet einem so etwas. Es freut mich, dass man sich noch erinnert und dass ich mich einreihe in eine Gruppe von Leuten, zu denen man aufgeschaut hat.

Sie werden auf der Bühne mit Helmut Marko und Toto Wolff stehen, die beide noch Teil der Formel 1 sind. Haben Sie Worte für die beiden?

Helmut ist ein Phänomen. Er ist in einem Alter, in dem es nicht mehr viele gibt. Und die, die es gibt, sitzen irgendwo im Wald auf einer Bank und hören den Vögeln beim Zwitschern zu. Und der Helmut fliegt nach China, nach Japan, nach Singapur. Diesen Ehrgeiz und diese Energie, die er noch hat, sind einzigartig. Ich bewundere auch Toto, wie er sein geschäftliches Geschick mit dem Rennsport-Know-How verbindet und wie er als Teilinhaber vom Mercedes-Team immer wieder die Kohlen aus dem Feuer holt.

Wären Sie gerne in einer anderen Zeit Formel-1-Fahrer gewesen?

Nein. Ich war im genau richtigen Zeitfenster in der Formel 1. Heute ist die Formel 1 sehr von Daten getrieben. Es ist viel Detailarbeit, es gibt viele kleine Bausteine, die man zusammensetzen muss. Meine Zeit war viel rustikaler mit diesen Turbo-Autos mit dieser Leistung, ohne Traktionskontrolle, ohne elektronische Hilfen. Es hat zwar viele Ausfälle gegeben, aber um vorne zu sein, ist es in erster Linie auf den Fahrer angekommen, wie der mit den 1.400 PS umgeht. Für mich noch wichtiger war aber, dass genau in dem Jahr, als ich in die Formel 1 gekommen bin, das Kohlefaser-Chassis eingeführt wurde. Das war so viel robuster als das Aluminium-Chassis. Plötzlich hatte man eine Überlebenschance. Bis 1983 wären alle meine Unfälle tödlich gewesen.

Und Social Media hat es damals auch nicht gegeben?

Mit Social Media wäre damals einiges nicht möglich gewesen. Wir haben eine sehr große Freiheit genossen und eigentlich machen können, was wir wollten. Mit einer Handvoll Journalisten haben wir uns abgestimmt, dass sie die ganz üblen Sachen vielleicht nicht an die große Glocke hängen. Es war auch noch nicht so viel Geld involviert, und die Konzerne haben noch nicht so viele Vorgaben gemacht, was gesagt werden darf und was nicht.

Welche Erlebnisse waren am einprägsamsten?

Ganz stark bleiben die Erfolge und die Unfälle hängen. Bei den Unfällen wird einem klar, wie knapp es war. Und die Erfolge sind Krönung für das, was man mit so viel Energie verfolgt hat.

Träumen Sie manchmal noch davon, in einem Formel-1-Auto zu sitzen?

In der Nacht nicht. Aber vielleicht am Tag. Ich weiß aber auch, dass diese Zeit hinter mir liegt. Je älter man wird, desto mehr denkt man darüber nach, wie endlich ein Leben ist. Ich bin jetzt 66. Man kann sich relativ leicht ausrechnen, wie lang so ein Leben noch gehen kann. Aber mir ist klar, dass ich es wieder so machen würde.

Gerhard Berger

Gerhard Berger heute: „Ich fahre mit dem Auto sehr solide.“

Was würden Sie Ihrem 20-jährigen Ich raten?

Man soll sich von seinem Weg nicht abbringen lassen. Ich komme aus einem 7.000-Einwohner Ort wie Wörgl mitten in den Bergen, wo es im Wesentlichen nur ums Skifahren geht, wo es kein Umfeld gegeben hat, das Motorsport unterstützt, wenn man von Motocross absieht. Meine Familie hatte mit dem Rennsport nichts am Hut. Und es war doch möglich, aus diesem Umfeld heraus aus dem Nichts mit dem Rennfahren zu beginnen. Und fünf Jahre später sitze ich beim Enzo Ferrari am Tisch und verhandle, ob ich bei Ferrari Formel 1 fahre. Dieser Weg war sehr unterschiedlich zu den meisten anderen, die mit der Unterstützung der Eltern mit vier oder fünf Jahren mit dem Kartfahren begonnen haben. Ich habe ja erst mit 21 Jahren begonnen. Ich habe gesehen, dass alles möglich ist, wenn man es will. Wenn ich an meine eigenen Kinder denke ... Ich habe eine Tochter, die in Los Angeles lebt, die Filmschauspielerin werden will. Wenn der Wille und das nötige Glück da sind, kann das aufgehen.

Was waren Ihre schönesten Erinnerungen?

Ich erinnere mich schon sehr gerne an meine Zeit bei Ferrari. Das war schon sehr besonders in Italien. Das ist schon so ziemlich das Höchste, das man in der Formel 1 neben den Siegen mitnehmen kann.

Ihr Freund Ayrton Senna ist bei einem Unfall gestorben. In einer Kurve, wo Sie Jahre zuvor auch einen schweren Crash hatten. War Ihnen bewusst, dass Sie knapp am Tod vorbeigeschrammt sind?

Mir war bewusst, dass ich nicht einmal dem Tod entkommen bin, sondern etliche Male. Einmal in Imola. Aber ich habe mir auch einmal das Genick gebrochen bei einem Verkehrsunfall auf der Straße. Einige haben weniger Glück gehabt. Ich denke an Senna, an Jo Gartner, an Ratzenberger, an Bellof ... Es gibt eine Reihe an Rennfahrern aus meiner Zeit, die das Buch nicht mehr unterschreiben können, in dem ihre Bilder sind. Das Gefährliche waren nicht unbedingt die Fahrfehler. Es waren die Materialfehler. Wenn ein Flügel bricht, die Radaufhängung, die Bremsscheibe, oder wenn ein Reifen platzt, passiert das genau dann, wenn die Belastung sehr hoch ist.

Wie war es, Teamkollege des Besten (Senna; Anm.) gewesen zu sein?

Einerseits war es super, weil ich gesehen habe, wo die Latte liegt. Andererseits schwierig, weil man fast immer einen vor der Nase gehabt hat. Gerade 1987, ’88 war ich oft am Podium, aber zu selten ganz oben, um die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Mir ist ein Ausnahmefahrer im Weg gestanden, der mit vier Jahren mit dem Kartfahren begonnen hat. Das habe ich nicht mehr aufholen können.

Sie sind gegen Senna, Prost und Mansell gefahren. War das eine besondere Ära?

Rückblickend ja. Diese großen Namen kennen heute noch alle. Aber es war schon eine harte Zeit. Es sind viele Weltmeister in der Startaufstellung gestanden.

Hätte ein junger Gerhard Berger in der Formel 1 von heute noch Chancen?

Ich glaube schon. Die Autos sind auch heute brutal schnell, sie bremsen sehr spät. Die Sieger von damals würden auch heute die Sieger sein und umgekehrt, auch wenn sie anders arbeiten würden. Aber ein Hamilton oder ein Verstappen hätten auch früher gewonnen.

Sie haben viele Jahre lang ein Leben am Limit gelebt. Fehlt ihnen der Nervenkitzel, das Adrenalin?

Nein. Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich fahre heute mit dem Auto sehr solide, ich bin mit den Ski solide unterwegs. Ich habe eher im Hinterkopf, dass ich mir nicht mehr wehtun will. Das habe ich oft genug gehabt, das brauche ich nicht mehr. Ich möchte das Leben genießen und daher mute ich dem Körper kein Risiko mehr zu.

Was wäre die Alternative zum Rennfahrer gewesen?

Das frage ich mich auch manchmal. Wahrscheinlich wäre ich im Elternbetrieb aufgewachsen und hätte ihn dann übernommen. Ich wäre so eine Mischung aus Logistiker und Techniker gewesen. Aber mein Weg, war mir mit Abstand lieber.

Sie sind jetzt 66 Jahre alt. Gibt es so etwas wie eine Pensionsvorsorge für Formel-1-Fahrer?

Nein. Wenn man selbstständig ist, muss man seine Vorsorge auch selbst schaffen. Man muss schauen, wie man sein Geld anlegt, sodass man auch in späten Jahren genug zu essen hat.

Und Sie haben noch genug zu essen?

Ich esse nicht so viel.

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