Keine Wahl

Die Wahl? Der ältere Mann in der Bar in Cavalese schüttelt nur den Kopf und verdreht dabei demonstrativ die Augen. Der Einheimische hält augenscheinlich nichts davon, dass er heute schon wieder zur Urne muss. „Bei uns ist sowieso immer Wahl.“

62 Regierungen hat das Land seit dem zweiten Weltkrieg mittlerweile bereits verbraucht, nun wählt Italien an diesem Sonntag abermals ein neues Parlament. Das bedeutet: Im Radio geben nicht mehr die Musiker, sondern die Politiker mit ihren Parolen den Ton an; im TV folgte in den Tagen vor der Wahl ein Polit-Talk dem nächsten; und in Rom sollen am Freitag bei der Abschluss-Kundgebung des Polit-Komikers Beppe Grillo sogar 800.000 Menschen gezählt worden sein.

Hier im Fleimstal ist von diesem Wahl-Fieber freilich nur wenig zu spüren. Was für eine Wohltat für die Augen, dass von den üblichen Politiker-Schädeln, die zu Wahlkampfzeiten so gerne die Plakatwände und Hausfassaden verunstalten, in Cavalese und Predazzo weit und breit nichts zu sehen ist. Auch die obligate Flut an Flugzetteln und Wahl-Zuckerln für Spätentschlossene ist hier ausgeblieben. Nichts. Als wäre an diesem Sonntag nicht Großwahltag. Als würde das Fleimstal nicht zu Italien gehören.Auch Silvio Berlusconi, der sich heute zum wiederholten Mal der Wahl stellt, hat es nicht nach Val di Fiemme geschafft. Wegen einer Bindehautentzündung hatte der 76-Jährige überhaupt nur eine Videobotschaft hinterlassen.

Der ältere Mann in der Bar in Cavalese hat seine ganz eigene Theorie, warum der bekennende Womanizer Berlusconi (Zitat: „Ich schaue mir eben gerne schöne Frauen an. Das ist immer noch besser, als schwul zu sein“) im Wahlkampf nicht im Val di Fiemme gesichtet wurde. Vermutlich, so die These des Einheimischen, vermutlich wären einfach die jungen Frauen aus dem Fleimstal nicht nach Berlusconis Geschmack.

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