Israel: Sport als Brückenbauer, doch es stehen Mauern
Nur manchmal hebt die 18-Jährige den Blick vom Smartphone, um mit ihrem Begleiter zu plaudern. Dann lacht sie kurz auf, streicht sich durch die langen braunen Haare und wischt sofort wieder auf dem Bildschirm herum. Lässig wie eine Handtasche geschultert hat die junge Soldatin ihr Maschinengewehr.
So verwirrend das Bild für den Besucher aus Mitteleuropa ist, so normal ist es in Israels Straßen – und so deutlich symbolisiert es den Status quo. Am Freitag wurde der Giro d’Italia in Jerusalem gestartet, erstmals in der 109-jährigen Geschichte außerhalb Europas. Die gestrige Etappe über 167 Kilometer von Haifa nach Tel Aviv gewann der Italiener Elia Viviani (Quick-Step) im Massensprint, die Österreicher kamen mit dem Feld ins Ziel. Heute folgt eine 229-Kilometer-Etappe durch die Wüste, ehe der Tross am Montag nach Sizilien übersetzt.
Keine Panik
Die größte Sportveranstaltung, die Isreal je erlebt hat, wird von 4000 Polizisten abgesichert, am Boden und aus der Luft. Von Seiten der Veranstalter und der Politik ist man darum bemüht, Normalität zu vermitteln. Mehr als 27 Millionen Euro (drei Viertel davon kommen von Sponsoren) hat sich Israel den Tour-Start kosten lassen. Das sei ein gutes Investment, meint Tourismus-Generaldirektor Amir Halevi. „Wir promoten damit die wichtigsten Touristen-Spots des Landes. Und wir zeigen einer Milliarde TV-Zuschauern die Wüste. Dort gibt es noch großes Potenzial für Tourismus. Im Winter kann man hier großartig Radfahren.“ Der Werbewert ist tatsächlich fast unbezahlbar, wie eine Studie zeigt: Wenn der Giro einmal einen Ort besucht hat, gehen die Nächtigungszahlen signifikant in die Höhe.
Dass die Lage angespannt ist, will Halevi gar nicht leugnen. „Seit 9/11 wissen wir nicht, wo auf der Welt der nächste Anschlag erfolgt. Aber wir in Israel haben gelernt, damit umzugehen. Hier passiert nichts.“
Kalmieren möchte auch der kanadische Milliardär Sylvan Adams, der einige Millionen zugeschossen hat, um den Giro in seine neue Wahlheimat zu holen. „Die Situation ist komplex. Aber in Jerusalem leben Juden und Moslems friedlich nebeneinander“, sagt er. „Und in unserem israelischen Team haben wir einen türkischen Fahrer, einen Moslem. Das ist kein Problem. Ich sehe den Sport als Brücke, und das sollen Millionen im TV auch sehen.“
Millionen sahen vergangene Woche aber auch, wie Isreals Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Iran der Lüge bezichtigte und vorwarf, weiterhin ein Atomwaffenprogramm zu verfolgen; sie haben mitbekommen, dass seit Ende März Dutzende Palästinenser an der Gaza-Grenze bei Protesten getötet wurden; sie wissen, dass Jerusalem seit Jahrzehnten zentraler Streitpunkt im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist.
Große Aufregung
Die Organisatoren versuchen, das Thema Politik zu umschiffen, im Mittelpunkt stehe einzig der Sport mit seinen Protagonisten. Doch beim Umgang mit Jerusalem ist es schwierig, Politik zu ignorieren. Isreal betrachtet den östlichen Teil der Stadt als untrennbaren Teil seiner Hauptstadt, die Palästinenser beanspruchen hingegen Ost-Jerusalem als ihre Hauptstadt.
Als im September 2017 die italienischen Giro-Organisatoren vom Start in „West-Jerusalem“ sprachen, kam aus Isreal harsche Kritik. Wenn sich der Wortlaut nicht ändern würde, würde man sich von der Partnerschaft mit dem Giro zurückziehen. Tatsächlich wurde der Terminus „West-Jerusalem“ aus allen Programmen gestrichen und durch „Jerusalem“ ersetzt. Aus Regierungskreisen hieß es: „In der Hauptstadt Isreals gibt es kein Osten oder Westen, nur ein vereintes Jerusalem.“
Ganz im Osten der Stadt beginnt das israelisch besetzte Westjordanland. Es ist abgetrennt durch eine acht Meter hohe Mauer.
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