Die verletzliche Seite des Sports

Nirgendwo ist das Entsetzen so groß wie nach einem Anschlag auf eine Sportveranstaltung.

Für Haile Gebrselassie brach an diesem Montag eine kleine Welt zusammen. „Das Laufen“, so twitterte die Lauflegende aus Äthiopien, „bringt doch die Menschen zusammen. Aber das, was in Boston passiert ist, ist einfach nur schrecklich.“

So wie bei Gebrselassie fallen die Reaktionen in der gesamten Sportwelt aus. Fassungslosigkeit trifft auf Wut, Schock trifft auf Sorge. Denn nach den jüngsten Bomben-Attentaten beim Boston-Marathon stellt sich einmal mehr die Frage: Wie verletzlich ist der Sport? Wie gefährdet sind die Großveranstaltungen mit ihrer weltweiten Publicity und ihrer völkerverbindenden Funktion? Und lassen sich solche Anschläge überhaupt verhindern?

Boston war nicht der erste Ort, an dem der Sport seine Unschuld verlor. In der Vergangenheit waren schon öfter Sport-Großveranstaltungen das Ziel von Attentätern geworden.

1972 Bei den Olympischen Sommerspielen in München nehmen Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ elf israelische Sportler als Geisel und machen medienwirksam auf die Lage in ihrer Heimat aufmerksam. Das Massaker von München fordert am Ende 17 Todesopfer und verändert nicht nur den Sport, sondern die ganze Welt. Die Angst vor Terror bekommt eine neue Dimension.

1996 Bei den Olympischen Spielen in Atlanta fordert eine Bombe zwei Menschenleben. Drahtzieher des Attentats war der US-Staatsbürger Eric Rudolph, der sich der Terrororganisation Army of God angeschlossen hatte.

2002 Wenige Stunden vor dem Fußball-Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und Barcelona verletzt eine Autobombe der baskischen Untergrundorganisation ETA vor dem Bernabeu-Stadion 19 Menschen.

2009 Das Cricket-Nationalteam von Sri Lanka wird auf dem Weg zu einem Stadion in der pakistanischen Stadt Lahore von Terroristen angegriffen. Die Bilanz: Sieben Tote und etliche Verletzte.

2010 Bei einem Überfall auf Togos Fußball-Nationalteam zwei Tage vor dem Afrika-Cup in Angola kommen ein Busfahrer und zwei Funktionäre ums Leben. Zu dem Anschlag bekennt sich eine Separatisten-Gruppe.

Große Sportveranstaltungen sind nicht nur die Bühne für die besten Athleten der Welt, sondern auch für die skrupellosesten Terroristen. Nirgendwo sonst sind die weltweiten Zuseherzahlen so hoch, nirgendwo ist das Entsetzen so groß wie bei einem Anschlag auf den völkerverbindenden Sport.

Nach den Bomben von Boston sind die Sportverbände, Sportveranstalter und Behörden in erhöhter Alarmbereitschaft. Schon am kommenden Wochenende steht mit dem Marathon von London das nächste Sport-Highlight auf dem Programm. Eine Absage steht nicht im Raum, allerdings werden die Sicherheitsvorkehrungen neu bewertet. Klar ist jedoch, dass eine 42 Kilometer lange Strecke mit einer halben Million Zaungäste niemals vor Attentäter geschützt werden kann.

Wie groß der Aufwand ist, um ein großes Sportevent sicher über die Bühne zu bringen, wissen die Londoner spätestens seit den Olympischen Spielen im Vorjahr. Mehr als 1,5 Milliarden Euro hatte London allein für die Sicherheitsvorkehrungen ausgegeben. 40.000 Sicherheitskräfte, darunter 17.000 Soldaten, riegelten die Sportstätten ab. Beim größten Einsatz der Royal Navy auf heimischem Boden seit dem zweiten Weltkrieg lag ein Kriegsschiff auf der Themse vor Anker, Boden-Luft-Raketen wurden auf Wohnhäusern postiert, Eurofighter waren in Alarmbereitschaft. Jeder Besucher der Sportstätten musste sich beim Eingang einem Sicherheitscheck unterziehen, ähnlich jenem auf einem Flughafen.

Das Thema Terror wird auch bei den kommenden Großveranstaltungen in Brasilien oberste Priorität genießen: Bei Olympia 2016 und der Fußball-WM 2014.

In Fortaleza, einem Spielort der WM, wurden am Wochenende zwei Fans erschossen. Fünf Kilometer vom Stadion entfernt. Ohne die WM im nächsten Jahr hätte es der Vorfall wohl nie weltweit in die Schlagzeilen gebracht.

Die Bombenanschläge beim Marathon in Boston kamen für Moskau zur Unzeit. Denn Russland richtet im Juli in Kasan die Universiade aus, die Weltsportspiele der Studenten, ist einen Monat später Gastgeber der Leichtathletik-Weltmeisterschaft im Moskauer Luschniki-Stadion und bekam den Zuschlag für die Fußball-WM 2018. Vor allem aber: Im Februar 2014 finden in Sotschi die Olympischen Winterspiele statt. Russland hatte um die Vergabe wie ein Löwe gekämpft, Gegner machten vor allem mangelnde Sicherheit geltend.

Sotschi liegt im unruhigen Nordkaukasus, einer Region, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit Geiseldramen und anderen Terroranschlägen für Negativschlagzeilen sorgte. Zwar ist die Tendenz in den letzten Jahren rückläufig. Zwischenfälle dieser Art gänzlich auszuschließen, sei jedoch „extrem schwierig“, warnte Sportminister Witali Mutko. Der Doppelanschlag in Boston sei auch für Russland ein „ernstes Signal“, sagte er der Nachrichtenagentur R-Sport.

Verschärfung

Natürlich sei man beunruhigt und selbstverständlich würden die Sicherheitsvorkehrungen weiter verschärft werden. Direkte Konsequenzen aus den Anschlägen in Boston zu ziehen, sei jedoch nicht erforderlich. Russland sei bestens gerüstet.

In der Tat. Auf Flughäfen werden Passagiere und Gepäck mehrfach durchleuchtet, in Moskau werden dazu sogar die in der EU verbotenen Nackt-Scanner eingesetzt. Als in Sotschi im Februar der Countdown für die Spiele anlief, starteten auch auf Fernbahnhöfen Kontrollen von Reisenden und Gepäck. Bei Demos, Meetings und anderen Großveranstaltungen stehen seit Jahren Metall-Detektoren an den Eingängen, sie kommen auch bei den Wettkampfstätten zum Einsatz. Zuschauer müssen bei der Einlasskontrolle neben dem Ticket auch einen biometrischen Fan-Pass vorlegen, den die Ausländerbehörde vor Ort nach der Registrierung ausstellt.

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