Gewalt im Sport: "Wir wollen das gemeinsame Hinsehen fördern"

Claudia Koller im KURIER TV Studio
Claudia Koller, Geschäftsführerin des Vereins 100% Sport über Grenzverletzungen und Gewalt im Sport und wie man sie verhindern kann.

Trainingslager, Drucksituationen, der Körper im Fokus, Emotionen. Der Sport hat viele positive Seiten, beinhält aber auch Situationen, die ausgenutzt werden könnten. Der Verein „100% Sport“, der seit 2010 existiert und vom Sportministerium finanziert wird, tritt dagegen ein. Seit 2022 gibt es dort, basierend auf einem Nationalratsbeschluss, die Anlaufstelle „vera*sport“, wo sich Personen melden können, die (sexualisierte) Gewalt oder Machtmissbrauch erlebt haben.

Was können Betroffene tun?

Sie können auf verschiedenen Wegen mit uns Kontakt aufnehmen. Wir beraten telefonisch oder schriftlich – vertraulich. Wir hören zu. Wir glauben den Betroffenen und machen nichts, das nicht in Abstimmung mit den Personen, die sich bei uns melden, geschieht. Wir unterstützen psychosozial, mit rechtlicher Expertise, begleiten die Fälle. Wir klären ab, ob Themen strafrechtlich relevant sind. Ganz oft wünschen sich aber die Personen, die sich bei uns melden, dass sich in der Struktur etwas ändert.

Sport Talk Claudia Koller

Was bedeutet das?

Dass es in den Sportorganisationen auch über den Akutfall hinaus um Schutzkonzepte geht, um auf Risikofaktoren im Sport proaktiv einzugehen.

Wie tut man das?

Das ist ein Organisationsentwicklungsprozess. Man sieht sich gemeinsam mit den Leuten, die Sport treiben, an, wo es Stellen im System gibt, an denen Übergriffe passieren können – und sie dort in einem Schutzkonzept abfangen.

Gemeinsames Duschen oder Trainingslager wird man im Sport nicht verhindern. Wie kann man dafür sorgen, dass die Situationen nicht ausgenutzt werden?

Die Frage ist, wer bestimmt, wie Körperkontakt bei uns aussieht? Missbrauch und Übergriffigkeiten können unbeobachtet oder toleriert stattfinden, weil Personen oft die Sprache dafür nicht haben. Aber wenn man diese Dinge regelmäßig zum Thema macht, gibt man ihnen die Möglichkeit, auch kleinere Themen anzusprechen. Dadurch wird ein Klima geschaffen, das Respekt und das gemeinsame Hinsehen auf Grenzverletzungen fördert.

Wie groß ist das Problem von Gewalt im Sport?

Bei der Vertrauensstelle kommen im Jahr an die 100 Fälle herein. Die Dunkelziffer ist sicher groß. Das betrifft aber verschiedene Gewaltformen. Sexualisierte Gewalt ist ein großes Thema, aber ein übergeordnetes Thema ist die psychische Gewalt. Oft überlappen sich die Formen. Man darf auch nicht vergessen: Wenn mehr Fälle ans Tageslicht kommen, heißt das nicht, dass alles schlimmer geworden ist, sondern, dass Personen jetzt wissen, wohin sie sich wenden können.

Herrscht im Sport eine Kultur, in der Gewalt besonders begünstigt wird?

Je weiter es Richtung Spitzensport geht, wird von der Gesellschaft viel entschuldigt oder als normal im Sport gesehen. Man muss unterscheiden zwischen förderlichen Praktiken, die eine Leistungs- bzw. Persönlichkeitsentwicklung begünstigen, und jenen Praktiken, die man aus Tradition und aus nicht besserem Wissen weiter mitträgt und weiter entschuldigt.

Auf Funktionärs- und Trainerebene gibt es wenige Frauen, betonte zuletzt auch Sport-Staatssekretärin Schmid...

Nicht nur in Österreich – aber besonders hier – haben wir einen großen Mangel an Frauen in Führungspositionen. Alleine, dass diese Inbalance vorhanden ist, zeigt, dass die Strukturen nicht ausgelegt sind, um hier Geschlechtergerechtigkeit von sich aus möglich zu machen. Das Thema ist auch mit dem Schlagwort „Quote“ verbunden.

Wenn Sie morgen eine einzige Reform durchbringen könnten, was, was würden Sie sich wünschen?

Einen verbindlichen Kodex, der Grenzverletzungen abseits der strafnormiert, damit es nicht weiter passieren kann, dass Praktiken und Integritätsverletzungen normalisiert werden und unter den Tisch gekehrt werden.

Bei Grenzüberschreitungen, die nicht strafrechtlich relevant sind?

Richtig. Wir haben in im Bereich der interpersonellen Gewalt im Sport – sexualisierte Gewalt, psychische, physische Gewalt, Vernachlässigung – eigentlich nur das Strafrecht als Grenze. Das ist eine sehr hohe Grenze, die nicht zu den Werten passt, die im Sport immer unterstrichen werden: Respekt, Fairness, Geschlechtergerechtigkeit, Chancengleichheit. Wir brauchen daher schon viel früher einen Hebel und auch Klarheit, sodass wir allen Beteiligten zeigen können, was Verstöße sind, was fehl am Platz ist. Ungeachtet dessen, ob das strafrechtlich relevant ist. Darunter fallen zum Beispiel ungewollte Küsse oder Textnachrichten oder private Einladungen.

Was macht Ihnen Hoffnung in Ihrem Bereich?

Dass es schon ein großes Bewusstsein in den Sportorganisationen gibt. Ich habe das Gefühl, dass Interesse da ist, an der Prävention zu arbeiten, Schutzkonzepte zu etablieren. Und dass wir in verschiedenen europäischen Ländern auch schon Good practices sehen, wie so ein Safe Sport Code oder so ein so ein Integritätskodex einfach auch gelebt und umgesetzt werden kann.

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