"Das muss man aushalten": Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?
Symbolbild
Eine verbale Entgleisung, ein sexistischer Witz, eine ungewollte Einladung, eine unsittliche Berührung: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz hat viele Facetten.
In Österreich ist sie seit 1993 im Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) ausdrücklich verboten. 58 Prozent der Frauen hierzulande geben dennoch an, selbst bereits Opfer von Belästigungen am Arbeitsplatz geworden zu sein. Bei Männern hingegen trifft das nur auf vier von zehn Befragten zu, wie eine repräsentative Studie zeigte.
Frauen sind damit deutlich häufiger von sexueller Belästigung im Arbeitsumfeld betroffen. Mehr als die Hälfte der Männer (52 Prozent) hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zumindest bereits beobachtet.
Was können Betroffene tun, wenn ihnen Belästigung im Arbeitsumfeld widerfährt? Vor allem, wenn eine ihnen höher gestellte Person grenzüberschreitend agiert und sie Angst um ihren Job haben? Wie verhält man sich richtig, wenn man einen Vorfall mitbekommt? Welche Hilfsangebote gibt es – und welche Konsequenzen drohen Arbeitgebern?
Eva-Maria Burger, Leiterin der Abteilung "Frauen und Gleichstellungspolitik" bei der Arbeiterkammer, stand dem KURIER dazu Rede und Antwort.
KURIER: Gibt es genauere Zahlen dazu, wie häufig sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz hierzulande vorkommt?
Eva-Maria Burger: Es gibt einige Zahlen, die wir haben, und die sind erschreckend hoch. Umfragen und Statistiken belegen, dass jede vierte Frau in ihrem Erwerbsleben einmal oder mehrfach von sexueller Belästigung betroffen ist oder war. Es gibt auch Erhebungen in bestimmten Branchen: Wir als Arbeiterkammer haben gemeinsam mit der Gewerkschaft vida und der Wirtschaftskammer eine Umfrage in Wien gemacht, wie oft Belästigung in der Gastronomie vorkommt. Da hat sich eine sehr hohe Betroffenheit gezeigt, vor allem bei weiblichen Beschäftigten, aber auch unter den Männern.
Diese Umfrage hat ergeben, dass 79 Prozent der Arbeitnehmerinnen mit Belästigung konfrontiert sind. Warum kommt Belästigung gerade in der Gastronomie so häufig vor?
Die Nachtgastronomie ist ein Arbeitsplatz, der oft in Verbindung mit Alkohol oder Drogen steht, wo es ums Partymachen und Feiern geht. Das macht sie zu einem Umfeld, wo es im Umgang mit Arbeitskräften oder mit Kolleginnen öfter zu Übergriffen kommt.
Wir sehen, dass Frauen deutlich öfter von sexueller Belästigung betroffen sind als Männer. Wir können aber nicht sagen, dass ausschließlich Frauen belästigt werden. Genauso wenig können wir sagen, dass ausschließlich Männer Täter sind.
Belästigung am Arbeitsplatz fängt ja nicht erst mit einer unerwünschten Berührung an. Was genau umfasst das alles?
Bei sexueller Belästigung geht es oft um Machtdemonstration und Herabwürdigung. Es geht um respektloses und unerwünschtes Verhalten in einem sexuellen Kontext, das für die betroffene Person negative Folgen am Arbeitsplatz hat. Es gibt verschiedenste Formen in diesem Kontext: Besonders bekannt ist die verbale sexuelle Belästigung, etwa ein "Witz" oder eine abwertende Namensgebung wie "Schatz" oder "Mausi". Auch unangebrachte Komplimente oder Fragen zum Intimleben gehören dazu. Eine verbale Form der Belästigung ist auch eine unerwünschte Einladung mit eindeutiger Absicht: Etwa, wenn der Chef die Mitarbeiterin mehrfach zum Abendessen einlädt.
Kann so eine Einladung nicht auch harmlos sein?
Ich sage bewusst, dass nicht jede Abendesseneinladung eine sexuelle Belästigung ist. Aber wenn das Verhalten über einen längeren Zeitraum persistent bleibt, kann es sehr wohl Belästigung sein – vor allem dann, wenn damit berufliche Vorteile in Aussicht gestellt werden. Zum Beispiel: Die Mitarbeiterin wird vom Chef auf ein Essen zu zweit eingeladen, mit dem Hinweis, sie würde dort Infos bekommen, die ihre Karriere vorantreiben könnten.
Eva-Maria Burger, Leiterin der AK-Abteilung "Frauen und Gleichstellungspolitik".
War das Belästigung? "Auf eigenes Empfinden hören"
Welche Formen der non-verbalen Belästigung gibt es?
Das sind bekannte Dinge wie der Pin-Up-Kalender an der Wand, der Bildschirmschoner mit anzüglichen Bildern oder Geschenke mit sexualisiertem Inhalt. Auch E-Mails mit unerwünschten Avancen gehören dazu. Non-verbale Belästigung kann ebenso das Starren auf die Brust oder das Gesäß sein, schlüpfrige Gesten oder Hinterherpfeifen. Die besonders schlimmen Formen sind dann körperliche Übergriffe wie Grapschen, aber auch erzwungene Umarmungen – bis hin zur Nötigung oder Vergewaltigung.
Oft heißt es, eine Frau habe es "darauf angelegt", weil sie einen kurzen Rock oder einen tiefen Ausschnitt im Büro getragen hat.
Dass ist völlig unzulänglich und falsch! Ein Kleidungsstück, möge es noch so kurz oder wenig sein, rechtfertigt niemals Übergriffigkeiten und bringt in keinster Weise Milderung dafür.
Was raten Sie Betroffenen, wenn sie sich nicht sicher sind, ob ein Verhalten tatsächlich eine Grenzüberschreitung war?
Es gibt natürlich vulnerablere Gruppen: Das sind vielfach Frauen, die erst kurze Zeit im Unternehmen oder in einer prekären Beschäftigungssituation sind, etwa Praktikantinnen oder Mitarbeiterinnen in befristeten Dienstverhältnissen. Sprich sie sind in einer Situation, in der sie sich vermeintlich weniger wehren können. Ich rate Betroffenen, ihr subjektives Empfinden ernst zu nehmen. Ein klassisches Beispiel ist der Witz, den die Frau im Büro gehört hat: Ist er für sie belästigend oder nicht? Oder war das vermeintlich zufällige Anstreifen doch Begrapschen? Hier muss man auf die eigenen Grenzen achten, darf sich selbst nicht kleinreden.
Was ist dann der nächste Schritt?
Jede:r Arbeitgeber:in ist dazu verpflichtet, ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Das beinhaltet einen ergonomisch guten Arbeitsplatz ebenso wie die psychische Sicherheit. Arbeitgeber:innen sind aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet, bei sexueller Belästigung angemessene Abhilfe zu leisten. Sie müssen damit auch Handlungen setzen, die weitere Belästigungen verhindern. Beschäftigte sind auch vor Belästigung durch Dritte – zum Beispiel durch Kund:innen oder Vertragspartner:innen – zu schützen. Jede Chefin, jeder Chef hat hier etwas zu tun. Wenn die Betroffene aber sagt, mit der Person möchte ich nicht reden – denn vielleicht war gerade der Chef der Belästigende – kann sie sich an den Betriebsrat wenden. Man kann auch externe Stellen zu Rate ziehen: Die Arbeiterkammer gibt in solchen Fällen rechtliche Auskünfte. Wir kooperieren zudem mit dem Verein Sprungbrett, der die Initiative Act4Respect in Wien ins Leben gerufen hat. Das ist ein fantastischer Verein mit langjähriger Erfahrung, der Frauen und Mädchen berät, wenn sie sexuelle Belästigung erfahren oder beobachtet haben.
Und natürlich kann man sich auch an die eigene Gewerkschaft wenden oder an die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Das Wichtigste ist: Sich Unterstützung holen und sich beraten lassen, wie man gegen die Belästigung vorgehen kann.
"Kennen nur die Spitze des Eisbergs"
Viele zögern davor, weil sie keine handfesten Beweise haben, quasi Wort gegen Wort steht. Helfen Gedächtnisprotokolle?
Ein Protokoll nützt jedenfalls, sprich sich zu notieren, wann etwas passiert ist und wie man es persönlich wahrgenommen hat. Auch hier kann es hilfreich sein, eine Beratung der Arbeiterkammer oder der Gleichbehandlungsanwaltschaft einzuholen, um rechtliche Sicherheit und Klarheit zu bekommen.
Wie soll man sich verhalten, wenn man am Arbeitsplatz Zeuge einer Grenzüberschreitung wird?
Nehmen wir wieder diese Situation: Ein paar Männer im Büro erzählen anzügliche Witze über eine Kollegin – was leider noch immer häufig vorkommt. Wenn ein Kollege das mithört, könnte er den Witz unterbrechen und die anderen darauf hinweisen, dass das nicht okay ist.
Wenn man körperliche Belästigung beobachtet, kann es auch angebracht sein, die belästigte Person direkt zu fragen, wie man sie unterstützen kann, was sie jetzt braucht – sprich nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen und zu verkünden "Ich melde das!", denn oft will man ein potenzielles Risiko erst abwägen. Man kann auch anonym mit Vorgesetzten oder mit dem Betriebsrat Kontakt aufnehmen, da die betroffene Person vielleicht nicht möchte, dass ihr Name genannt wird.
Welche Pflichten haben wiederum Vorgesetzte bei Grenzüberschreitungen?
Arbeitgeber:innen müssen dafür Sorge tragen, dass Vorgesetzte unmittelbar einschreiten. Vorgesetzte sollten auch aktiv eine respektvolle und sichere Kultur im Team fördern. Das betrifft übrigens nicht nur die Geschäftsführung oder die höchste Führungsebene, sondern jede Person, die Führungsverantwortung hat. Hier ist auch wichtig, deutlich auszusprechen: "Bei uns wird sexuelle Belästigung in keiner Form toleriert, sonst gibt es klare Sanktionen – das ist unsere Firmenpolicy."
Stichwort Firmenpolicy: Wie sensibilisiert sind die Arbeitgeber:innen in Österreich für dieses Thema?
Es scheint noch immer nicht genug Awareness dafür zu geben, weil die Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nach wie vor ansteigen. Wir nehmen aber auch wahr, dass das Thema, gerade rund um die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen, öfter angesprochen wird. Das finde ich sehr positiv. Auch die Unterstützungs- und Beratungsstellen sind mittlerweile bekannter, wodurch es niederschwelliger für betroffene Personen geworden ist, sich Unterstützung zu holen. Wir kennen aber wohl nur die Spitze des Eisbergs: Die steigenden Anfragen lassen vermuten, dass deutlich mehr Personen betroffen sind, als uns bekannt ist.
Was braucht es also, um besser gegenzuwirken?
Neben Awareness braucht es Maßnahmen, die im konkreten Betrieb bzw. konkret in der jeweiligen Branche greifen. Natürlich ist ein allgemeines Statement der Geschäftsführung wichtig, aber man sollte bei der Prävention ansetzen – und nicht erst bei der Sanktion danach: Wie können wir sicherstellen, dass es gar nicht zu solchen Fällen kommt?
Ein Weg ist, Mitarbeiter adäquat zu schulen, sprich ihnen praktische Beispiele zu zeigen, was Belästigung ist und was nicht. Auch Schulungen für die Führungskräfte sind wichtig, ebenso, dass man interne Beschwerdestellen und Ansprechpersonen bestimmt. Eine Möglichkeit ist natürlich auch, eine eigene Betriebsvereinbarung dazu zu machen – so wie es zu vielen anderen wichtigen Themen auch Betriebsvereinbarungen gibt.
Im Zuge dieser Debatte hört man mitunter auch, dass man sich in der Arbeitswelt eben "ein dickes Fell zulegen muss". Was sagen Sie zu diesem Argument?
Zu sagen "Das muss man aushalten" oder "Du verstehst keinen Spaß" ist eine Form der Verharmlosung, eine Täter-Opfer-Umkehr. Betroffene werden nicht selten als "hysterisch, humorlos, überempfindlich" dargestellt. Das ist ganz klar abzulehnen – man muss keinen Arbeitsplatz tolerieren, wo man Belästigungen ausgesetzt ist, in welcher Form auch immer. Das "dicke Fell"-Argument ist eine reine Schutzbehauptung der Gegenseite, weil sie sich nicht ändern will oder nicht einschreiten möchte, obwohl sie rechtlich dazu verpflichtet ist.
Welche Konsequenzen gibt es für Arbeitgeber, wenn sie nicht ausreichend handeln?
Kommen Arbeitgeber ihrer Verpflichtung hier nicht nach, drohen Schadensersatz-Zahlungen – wobei wir als Arbeiterkammer schon lange einen höheren Schadenersatz fordern, vor allem dann, wenn die Arbeitgeber:innen es unterlassen haben, vorher präventive Maßnahmen zu setzen, sprich kein Schutzkonzept erstellt haben und es somit de facto in Kauf nehmen, dass sexuelle Belästigung vorkommen kann.
Wie hoch ist die Schadenssumme aktuell – und welche Erhöhung fordern Sie?
Wir fordern eine Anhebung des Schadenersatzes für die Unternehmen auf 5.000 Euro, wenn es im Betrieb kein Präventionskonzept gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gibt. Aktuell ist die Summe deutlich niedriger, das hängt oft vom Gericht ab. Wir sagen aber, dass die Strafen empfindlicher ausfallen sollten, da das Unternehmen eine Gesamtverpflichtung hat und dieser nicht nachgekommen ist.
Die Telefonberatung ist montags von 11-14 Uhr und donnerstags von 16-19 Uhr österreichweit unter der Nummer 0670/600 70 80 - kostenlos und anonym - erreichbar.
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