So unwahrscheinlich ist das nicht, denn gegen Tschechien hat das junge Team schon gewonnen, gegen England ein aufsehenerregendes 3:5 erreicht.
Doch mit der Qualifikation fangen die Probleme gerade erst an. Denn 79 Staaten erkennen den Kosovo nicht als unabhängig an. Aus verschiedenen Gründen, etwa, weil sie selbst ein schwieriges Verhältnis mit separatistischen Bewegungen in eigenen Provinzen haben (der Kosovo war eine serbische Provinz). Die Spielstätten der EM 2020 verteilen sich auf zwölf Staaten. Darunter Russland, Spanien, Rumänien und Aserbaidschan, die den Kosovo nicht anerkennen.
Die UEFA ist daher vor komplizierte Auslosungsmodalitäten gestellt, sollte sich das junge Team vom schweizer Trainer Bernard Challandes tatsächlich qualifizieren. (Die Chancen stehen gut, denn selbst, wenn sie gegen Tschechien und England nicht gewinnen, gibt es eine Möglichkeit, sich über die Nations League die EM-Teilnahme zu sichern.) Denn bei der Auslosung am 30. November in Bukarest darf es nicht passieren, dass Kosovo in eine Gruppe mit Serbien, Bosnien oder Russland gezogen wird.
Qualifiziert sich das Team über die Nations League, wird es noch komplizierter. Denn sollte bei der Nach-Auslosung am 1. April politisch sensible Paarungen zustande kommen, muss erneut ausgelost werden.
Wird Kosovo einer Gruppe zugelost, deren Spielort in einem der vier Länder ist, die dessen Unabhängigkeit nicht anerkennen, können die Spiele an einen neutralen Ort verlegt werden. So passiert bei der U-17-EM im Februar in Spanien: Weil Madrid Flagge und Hymne des Kosovo nicht erlauben wollte, musste die gesamte Vierergruppe mit Kosovo ins Schweizer Nyon verlegt werden. Die UEFA verwies gegenüber dem KURIER auf ihre aktualisierten Statuten und gibt keine weitere Stellungnahme ab.
Während die kosovarischen Politiker um die Aufnahme der Republik als vollwertiges Mitglied internationaler Organisationen kämpft (Kosovo ist Mitglied von IWF und Weltbank, nicht aber etwa von Interpol), hat das sportliche Kosovo 2014 mit der Mitgliedschaft beim Olympischen Komitee und 2016 mit der Aufnahme in FIFA und UEFA bereits die wichtigsten Meilensteine gelegt. Seit 2016 bestreitet das Fußball-Nationalteam der Herren offizielle Pflichtspiele.
Eroll Salihu hat den weiten Weg des blau-gelben Teams von Tag Eins miterlebt. Als Mittelfeldspieler hat er 1991 das erste Tor in der neu gegründeten kosovarischen Liga geschossen. Heute ist der 54-Jährige Generalsekretär des kosovarischen Fußballverbandes. Er war an vorderster Front dabei, als die kosovoarischen Fußballer um Anerkennung und Spielberechtigung gekämpft haben. Er war unter jenen Funktionären, die durch Europa gereist sind und Spieler mit kosovarischen Wurzeln gesucht haben, die sich für das Projekt Nationalteam eigneten – und auch den Mut dazu hatten. In Österreich fand man Valon Berisha, der bis dahin für das norwegische Team gespielt hatte. Auch der ehemalige ÖFB-Nachwuchs-Teamspieler Sinan Bytyqi entschied sich für das Kosovo-Team.
Die erste Qualifikation – für die WM 2018 – schaffte das junge, europäische Team des Kosovo nicht. Jetzt könnte es funktionieren. Die Erfolge beflügeln die gesamte Nation. Während die Arbeits- und Perspektivenlosigkeit vor allem bei der Jugend grenzenlos scheinen und die politische Korruption ebenso schwer zu bekämpfen ist wie die ewige Feindschaft zum Kriegsgegner Serbien, geben die Fußballer eine Marschrichtung vor: Nicht jammern, sondern sich aus eigener Kraft in Europa positionieren. Sie geben jungen Kosovaren damit eine Identität und einen Zusammenhalt, die Politiker seit der Unabhängigkeitserklärung vor knapp 12 Jahren vermissen lassen.
Die Spieler haben einen Zug zum Tor. Und das nicht nur sprichwörtlich, sondern auch faktisch. „Jeder junge Spieler, der mir angeboten wird, ist ein Offensivspieler. Jeder!“, klagte Trainer Challandes in einem Interview. Verteidiger will hier kaum jemand sein. Sondern der Held, der diese junge Nation nach Europa schießt.
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