Schewtschenko: Golf-Opa als EM-Held

Schewtschenko: Golf-Opa als EM-Held
Er wirkte bereits wie ein Frühpensionist. Gegen Schweden wurde der Ukrainer zum ersten Helden des Turniers.

Auf dem Khreshchatyk Boulevard brachen die Dämme. Schlusspfiff im Olympia-Stadion und die Nacht des Andrej Schewtschenko sollte erst so richtig beginnen. Tatenlos durfte die zahlreich angetretene Polizei zusehen, wie heftig feiernde Ukrainer und durchwegs ernüchterte bis am Boden zerstörte Schweden ihre Gefühlsbäder nahmen. 90.000 gelbe Menschen aus der Fanzone und 63.000 aus dem Stadion kommend, vereinigten sich zum gemeinsamen Tanzen, Brüllen, Trinken oder Weinen im Zentrum der Stadt.

Im Olympia-Stadion wurden bereits die Rasenmäher auf- und abgeschoben, draußen galten die "Schewa, Schewa"-Rufe bis weit nach Mitternacht der Verehrung. Die zwei Tore des Routiniers stellten Schwedens Liebling Zlatan Ibrahimovic in den Schatten und lassen die EM-Gastgeber tatsächlich vom Aufstieg ins Viertelfinale träumen.

Blechschaden

Dabei wären Schewtschenko auf der Heimfahrt die jubelnden Fans beinahe zum Verhängnis geworden. Vor einem Zebrastreifen musste er scharf bremsen. Die Nachkommende hatte die Ehre, in das Heck des prominent besetzten Porsches zu krachen. Schewtschenko und seine Frau blieben unverletzt, doch musste er sich zu mitternächtlicher Stunde einer unfreiwilligen Autogrammstunde stellen.

Schewtschenko gilt in der Ukraine noch immer als das Sinnbild des möglichen Aufstiegs aus der Anonymität. Einer, auf den sie in der Gegenwart stolz sein können. Wer schreibt es diesem Land noch auf die Habenseite, dass etwa Sigmund Freud oder Dustin Hoffman ukrainische Wurzeln hatten, oder Komponisten wie Gershwin und Leonard Bernstein die Söhne ukrainischer Eltern waren?

Bayern-Spieler Timoschtschuk wird respektiert, an das Karriereende von Schewtschenko mag niemand denken. "Wir sind ohne ihn nichts mehr wert", erklärt ein Fan.

Abwärtstrend

Dabei erscheint die unaufhörliche Erhebung in den Heldenstatus doch etwas verwunderlich. Denn nach den glorreichen Jahren beim AC Milan (Champions League-Sieger, Meister und zweifacher italienischer Torschützenkönig) ging's 2006 mit dem Transfer zu Chelsea stetig bergab.

Die landeseigenen Medien betrachteten die Angelegenheit darum auch etwas nüchterner. Schewtschenko sei längst über den Zenit, hieß es. Er werde das "dritte Maskottchen neben Slavek und Slavko sein", wurde für die Europameisterschaft prophezeit. Die Reife für den ukrainischen Kader habe er wegen seines hohen Alters schon verloren.

Trainer Oleg Blochin umarmte seine Nummer 7 nach dem Spiel. Er hatte zwar immer an seinem Altstar festgehalten, unmittelbar vor der EM-Premiere konnte er aber nach eigenen Worten keinen einzigen Angreifer mit internationalem Format im Team ausmachen.

Und plötzlich sei Schewtschenkos Glanzleistung gar keine so große Überraschung mehr gewesen: "Ich habe in der Nacht zuvor geträumt, dass Andrej heute zwei Tore schießt."

Hobbyspieler Andrej Schewtschenko selbst fühlte sich mit einem Schlag beschwerdefrei und überhaupt "um 20 Jahre jünger."

An den Kritikern werde er sich aber erst gerächt haben, wenn die Ukraine im Viertelfinale dieser Europameisterschaft steht. Oberwasser für jenen Mann, der sein hohes Image in Kiew teilweise selbst eingelocht hat. Statt für Dymano auf dem Platz zu stehen, beteiligte er sich nämlich an der nationalen Golfmeisterschaft.

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