Seiwald vor ÖFB-Kracher: Stets im Zentrum, nie im Mittelpunkt
Wenn am Montag für die Österreicher der Anpfiff zu dieser Europameisterschaft erfolgt, dann wird 25 Kilometer südlich von Salzburg alles auf den Beinen sein. Keine 7.000 Einwohner zählt die Gemeinde Kuchl und tatsächlich: Zwei, die von hier kommen, haben es in den 26-Mann-Kader von Ralf Rangnick geschafft bei dieser EM. Matthias Seidl und Nicolas Seiwald.
Einer – und das ist für alle sonnenklar – wird spielen. Weil er immer spielt. Auf Seiwald baut Ralf Rangnick wie auf kaum einen anderen. Zwar war es noch Franco Foda, der den heute 23-Jährigen im Herbst 2021 gegen Israel zum Teamspieler machte, doch unter Rangnick ist der zentrale, defensive Mittelfeldspieler nicht mehr wegzudenken.
Die 15 jüngsten Länderspiele hat Seiwald nicht nur bestritten, er hat allesamt über die vollen 90 oder mehr Minuten gespielt. Dabei gab es übrigens nur eine Niederlage – 2:3 gegen Belgien.
Warum spielt der Seiwald immer? Der Sechser mit der Rückennummer sechs ist so etwas wie der Lieblingsspieler des Teamchefs, der an dieser Stelle natürlich sagen würde, dass er 26 Lieblingsspieler hat und nicht nur einen.
Seiwald und Rangnick, das ist dennoch ein „perfect match“. Der Fixstarter wurde in der Salzburger Akademie ausgebildet, um exakt jene Art von Fußball zu spielen, für die der 65-Jährige steht. Proaktiv, nach vorne ausgerichtet, den Gegner immer unter Druck setzend. Rangnick verlässt sich blind auf seinen Abräumer: „Ich kann mich nicht erinnern, dass er in irgendeinem Spiel oder in irgendeinem Training unter seinen Möglichkeiten geblieben wäre und wir uns im Trainerteam gefragt hätten: ’Was war heute mit Nici los?’“
Jäger des Balles
„Meine Stärke ist auf jeden Fall meine Mentalität. Und der Antritt und das Jagen gegen den Ball“, sagt der junge Mann mit den rotblonden Haaren. Das Rot steht wohl für das Feuer, das der Dauerbrenner entfacht, wenn der Gegner am Ball ist. Denn dann wird gejagt. Und genau diese Disziplin ist gegen die Franzosen gefragt wie kaum eine andere. Wenn der Gegner die Kugel hat, blüht Nicolas Seiwald auf.
In Düsseldorf könnte das vermehrt Antoine Griezmann sein. Der 33-Jährige bestreitet gegen Österreich sein 130. Länderspiel für die Grande Nation. Seiwald könnte dafür sorgen, dass es eines zum Vergessen wird für den Weltklassekicker, der im Team von der Stürmerposition abgekehrt ist und unter Didier Deschamps im zentralen, offensiven Mittelfeld spielt. Nicolas Seiwald wird sich ihm entgegenstellen. Und er wird sein ganzes Potenzial abrufen müssen, um den bei der Heim-EM 2016 zum Spieler des Turniers gekürten Griezmann zu stoppen.
Beherrscher des Raumes
Wie das gelingen soll, erklärt der Teamchef: „Nici hat einfach ein super Gespür für die Räume, wo es darum geht, die Bälle zu erobern, aber auch dafür, die Passwege einfach zuzustellen“, sagt Rangnick, für den es deshalb auch nur „logisch“ sei, dass Seiwald zum 16. Mal in Folge in der Startelf steht. „Im Spiel nach vorne hat er sicherlich noch Luft nach oben, aber auch das ist etwas, was sich im Laufe der Zeit schon entwickelt hat.“ Im letzten Länderspiel, beim 1:1 gegen die Schweiz, brachte Seiwald immerhin 98 Prozent seiner Pässe zum Mitspieler.
In Leipzig, wo man vor einem Jahr 20 Millionen Euro für ihn locker gemacht hat, wird er noch ein bisserl geschont. Nur sechs Mal stand er in der abgelaufenen Bundesliga-Saison in der Startelf, 15 Mal kam er als Joker ins Spiel, vier Mal spielte er in der Champions League. „Es war ein großer Schritt, eine Umstellung, es herrscht ein großer Konkurrenzkampf“, beschreibt Seiwald die Situation unter Trainer Marco Rose. Doch Seiwald wäre nicht Seiwald, hätte er darin nicht eine Chance gewittert. Er hat die Zeit genützt, um noch robuster zu werden.
Weniger Spiele bedeuten auch mehr Energie und Zeit für zusätzliche Trainingseinheiten. Er habe zwar immer noch 78 Kilo, sagt Seiwald, der diese über 1,79 Meter verteilt. „Aber ein bissl Fett ist schon in Muskelmasse übergegangen.“
So viel Fett hätten viele gerne. Doch egal, wo man fragt, Seiwald bekommt irgendwie keines ab. Michael Gregoritsch etwa gerät ins Schwärmen, wenn er über seinen Kollegen spricht. Und da geht es gar nicht immer nur um die Vorzüge, die Seiwald auf den Platz bringt. „Er nimmt sich selbst nicht so wichtig und das ist genau diese Charaktereigenschaft, die man auf dieser Position braucht“, sagt der Stürmer.
Seiwald, der drei Geschwister hat und 2020 Matura und Profifußball unter einen Hut gebracht hat, ist im Zentrum gesetzt, drängt aber nie in den Mittelpunkt. „Er ist in der Mannschaft sehr anerkannt und beliebt“, sagt Gregoritsch. „Und das, obwohl man teilweise sehr offensiv auf ihn zugehen muss, damit er etwas verrät. Er ist wirklich noch dieser total bodenständige Bua aus Kuchl.“ Am Montag werden ein paar Franzosen recht offensiv auf ihn zugehen wollen. Mal sehen, was er dann verrät.
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