Rosario ist längst so etwas wie die heimliche Fußball-Hauptstadt Argentiniens. Hier starteten Weltkarrieren wie die des legendären WM-Trainers von 1978, César Luis Menotti, dessen Bilder aus dieser Zeit mit wehendem Haar und Zigarette Kult sind. Aber auch der aktuelle Coach Lionel Scaloni ist hier geboren, so wie viele andere Fußballstars. Das Stadion trägt den Namen von Marcelo Bielsa.
In der Straße, wo alles anfing, der Lavalleja im Viertel Las Heras, haben sie sogar den Randstein weiß-blau angemalt. Hier wurde Messi geboren. Asiatische Kamerateams filmen das schlichte Gebäude, auf dessen Rückseite ein großes Graffito aufgemalt wurde: „Gracias“. Messi bringt Glanz und Glamour der Stadt, die sonst unter negativen Schlagzeilen leidet wie keine andere in Argentinien. Und mehr als das: Er verschafft ihr Würde und Anerkennung. Mindestes einmal im Jahr kommt er über die Feiertage und schaltet ab. Messi bekennt sich zu Rosario und Rosario zu ihm.
„Alle, die irgendwann einmal für die Newell’s Old Boys gespielt haben, haben eine enge Verbindung zum Klub. Und sie halten diese Verbindung, auch wenn sie raus in die Welt reisen und Karriere machen“, sagt Gabriela Bodo von Messis Jugendklub Atlético Newell’s Old Boys im Gespräch mit dem KURIER.
Sie ist die Kultursekretärin des Klubs, für den Messi als Kind die ersten Tore schoss. Fotos aus dieser Zeit sind selten, aber die wenigen, die es gibt, haben es als Wandmalerei auf die Mauern Rosarios geschafft.
Hier sind Kultur, Politik und Gesellschaft viel enger miteinander verwoben als in Deutschland. Auf dem weitläufigen Gelände gibt es Grillplätze für die traditionellen Asados. Auf einer Sitzbank wird an Frauen erinnert, die Gewalt zum Opfer fielen. Und auf einer Außenwand des Stadions verewigt sind die Großmütter der Plaza de Mayo, eine Menschenrechtsorganisation, die mutig demonstrierte während der dunklen Zeit der rechtsextremen Militärdiktatur, als Tausende Menschen verschwanden. Während in Europa darüber diskutiert wird, ob Fußball und Politik zusammengehören, ist das in Argentinien gar nicht mehr zu trennen.
Niemand in Rosario denkt darüber nach, was passieren würde, wenn es am Sonntag gegen die Franzosen schiefgeht. Das Drehbuch ist aus der Sicht der Rosarinos geschrieben. Und Argentinien wäre nicht Argentinien, wenn es kein episches Ende hätte. Im letzten WM-Spiel seiner langen, erfolgreichen Karriere sieht es den ultimativen emotionalen Spannungsbogen vor. Den Pokal in die Höhe stemmen und damit endgültig zum Nationalhelden werden wie Evita Perón oder Diego Maradona. Oder gemeinsam in einem Meer von Tränen der Enttäuschung ertrinken und untergehen.
„Wir alle hoffen, dass er am Sonntag in seinem letzten WM-Spiel den Pokal in die Höhe stemmt“, sagt Bodo. „Es wäre das perfekte Ende einer historischen Geschichte.“ Einer Geschichte, die in Rosario begann und die vielleicht in ein paar Tagen zu Ende gehen könnte, wenn Messi mit dem WM-Pokal zuerst nach Buenos Aires und dann nach Rosario zurückkehrt. Das Märchen vom kleinen Buben, der hinauszog, um die Welt zu erobern, hätte sich erfüllt. Und alle in Rosario sind irgendwie dabei gewesen.
Kommentare