WM-Held aus der zweiten Reihe: Griezmann und Frankreichs Titeltraum
Bei der EM 2016 glänzte Antoine Griezmann noch als Goalgetter und wurde der Torschützenkönig des Turniers. Bei Frankreichs WM-Titel vor vier Jahren war er mit vier Treffern der erfolgreichste Stürmer seines Teams. 2022 steht der mittlerweile 31-Jährige noch ohne Torerfolg da, dafür glänzt Griezmann als Vorlagengeber.
Gleich zwei Assists gelangen ihm im Viertelfinale gegen England. Im WM-Verlauf kreierte er 21 Torchancen, so viele wie kein anderer Spieler. Auf Platz zwei folgt Lionel Messi (18), erst weit dahinter rangieren Griezmanns Teamkollegen Théo Hernandez, Ousmane Dembélé und Kylian Mbappé mit jeweils elf.
„Natürlich sticht Kylian Mbappé immer heraus, aber nach diesem Spiel muss man einfach über Griezmann sprechen“, schrieb der ehemalige deutsche Teamchef Jürgen Klinsmann nach dem 2:0-Sieg gegen Marokko. „Er war das Herz der Mannschaft. Er war mit seinem Passspiel und seiner Übersicht entscheidend nach vorne.“
Ein Wagnis
Es war ein gewagtes Unternehmen von Teamchef Didier Deschamps, dem Mann von Atlético Madrid bei dieser WM eine defensivere Rolle zuzuweisen. Griezmann verbindet Verteidigung und Angriff, er lässt sich zurückfallen oder weicht über die Flanken aus. Wie etwa beim 2:1 gegen England, seine Maßflanke zirkelte er genau auf den Kopf von Olivier Giroud.
Im Oktober 2019 soll Deschamps den defensiveren Griezmann erfunden haben. Beim mühevollen 1:0-Sieg in Reykjavik brillierte er vor allem im Spiel gegen den Ball. Danach soll Deschamps gesagt haben: „Du würdest einen guten defensiven Mittelfeldspieler abgeben.“ Angeblich wurde über den vermeintlichen Scherz herzhaft gelacht, doch der Teamchef meinte es ernst, kam bei der aktuellen WM auf seine Idee zurück und löste damit gleich ein zweites Problem – sein Überangebot an Stürmern von Weltklasse-Format.
„Er wird natürlich weniger Tore schießen, aber es ist nicht so, dass wir ihn geopfert hätten“, erklärte Deschamps. „Ich verlange jetzt wahrscheinlich andere Dinge von ihm, und er interpretiert seine Rolle sehr intelligent und schafft ein Gleichgewicht.“
Das letzte seiner bisher 42 Länderspieltore liegt bereits mehr als ein Jahr zurück, doch Griezmann scheint in seiner Rolle aufzugehen hinter den Stürmerstars, dem wendigen Kylian Mbappé und dem wuchtigen Olivier Giroud. „Über Tore mache ich mir keine Gedanken“, sagt er. „Die Mannschaft braucht mich im Herzen des Spiels.“ Er glänzt mit überragender Laufarbeit, klugem Zweikampfverhalten und schönen Pässen in die Tiefe. „Ich habe viele Freiheiten darin, wie ich mein Spiel anlege und wie ich mit Defensive und Offensive zusammenspiele“, sagt er.
72 Länderspiele in Serie hat Griezmann für Frankreich nun absolviert, er fühlt sich rundum wohl, physisch und psychisch. Endlich wieder. In der Saison 2019/’20 war er um 120 Millionen Euro von Atlético Madrid zum FC Barcelona gewechselt. Er unterschrieb einen Vertrag bis Juni 2024, die Ausstiegsklausel wurde auf 800 Millionen Euro festgelegt. Es war einer der teuersten Transfers der Fußballgeschichte. Doch bei den Katalanen wurde er nicht glücklich, neben Lionel Messi war er nur Nebendarsteller. Als der Argentinier den Verein im Sommer 2021 in Richtung Paris verließ, entlud sich der Zorn der Fans an Griezmann. Die Barça-Fans hätten einen Verkauf des Franzosen bevorzugt, um den finanziellen Spielraum für eine Vertragsverlängerung mit Messi zu schaffen.
2021 kehrte Griezmann am letzten Tag der Transferperiode leihweise und reumütig zu Atlético Madrid zurück, wo er einst zum Starspieler gereift war. Doch regelmäßig (durch-)spielen durfte er nicht, denn dann hätte eine Kaufpflicht gegriffen. Erst vor zwei Monaten einigten sich beide Klubs, Griezmann wechselte fix für 20 Millionen Euro.
Ein Betrag, für den er nach dieser Weltmeisterschaft wohl nicht mehr zu haben sein wird.
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