Am 30. Mai hätte im Atatürk-Olympiastadion in Istanbul das beste Klubteam Europas 2020 gekürt werden sollen. Doch dagegen hatte das Coronavirus etwas. Schon Ende März wurde das Finale der Champions League auf unbestimmte Zeit verschoben. Ob überhaupt und falls ja, wann im größten Stadion der Türkei, das irgendwo im Nirgendwo der 12-Millionen-Einwohner-Metropole am Bosporus auf einer ehemaligen Müllhalde errichtet wurde, gespielt wird, weiß niemand. Es gibt aber zumindest einen Plan.
Laut der spanischen Sportzeitung Marca soll die unterbrochene Saison im August fortgesetzt werden. Demnach sollen am 2. August die restlichen vier Achtelfinal-Partien gespielt, die weiteren K.o.-Runden sollen dann in nur einer Begegnung absolviert werden. Zudem soll es mit einem Final-Four-Turnier Ende des Monats in Istanbul eine Premiere geben. Bei diesem sollen die Halbfinal-Spiele sowie das Finale über die Bühne gehen. Die Entscheidung über diesen Plan dürfte Mitte Juni fallen.
15 Jahre ist es nun schon her, dass Istanbul zum ersten und bisher letzten Mal Schauplatz des wichtigsten Spiels im europäischen Klubfußball war. Und es war eines der spektakulärsten Endspiele in der langen Europacup-Geschichte. Der FC Liverpool siegte vor fast 70.000 Zuschauern im Elfmeterschießen gegen den AC Milan nach zuvor 120 dramatischen Spielminuten, die mit einem 3:3 geendet hatten.
Erst lang nach Mitternacht erlebte das denkwürdige Finalspiel seinen emotionellen Höhepunkt. 45.000 Liverpool-Fans und ein Häufchen Spieler am Rasen sangen im Atatürk-Stadion gemeinsam die Queen-Hymne „We Are The Champions“. 20 Jahre nach der Schande von Brüssel standen die Reds wieder an Europas Spitze.
Magische Minuten
Die wenigen noch im Stadion verbliebenen Tifosi konnten nur ungläubig den Kopf schütteln. Auch Coach Carlo Ancelotti rang mit den Worten: „Wir waren das bessere Team, haben in sechs Minuten aber alles verspielt.“ Sechs Minuten, die längst einen Platz in der Fußball-Historie gefunden haben. Milan hatte mit einem Blitztor von Maldini und zwei Crespo-Treffern die Liverpooler in den ersten 45 Spielminuten zu Statisten degradiert.
In der Pause wurde nur über die Höhe des Sieges der Italiener diskutiert, befürchteten selbst die größten Optimisten im Lager von Liverpool ein Debakel. Nichts sprach für eine der spektakulärsten Aufholjagden der Fußball-Geschichte, bis Liverpool-Kapitän Steven Gerrard mit seinem Kopftor zum 1:3 in der 54. Minute eine Lawine lostrat, der die Milan-Stars fast nichts mehr entgegensetzen konnten.
Sechs Tore in einer Stunde in einem Spiel zweier Teams, die eigentlich dank ihrer Defensivqualitäten ins Finale der europäischen Eliteliga gekommen waren. Damit hatten auch beide Trainer nicht gerechnet. „Es ist ein Finalspiel, und das sind nie gute Partien“, hatte Liverpools Coach Rafael Benitez am Tag vor dem Krimi ausgesprochen, was sein Gegenüber Ancelotti kurz zuvor verklausuliert von sich gegeben hatte.
Die größten Sieger in der Metropole am Bosporus waren aber nicht die Liverpool-Spieler, sondern deren mehr als 50.000 Fans. Angereist waren sie aus der ganzen Welt, viele hatten gar keine Karten, sahen das Spiel in Istanbul nur via TV. Irgendwie schien es, als wollten sie etwas gut machen – 20 Jahre nach den Ausschreitungen im Heysel-Stadion, die 39 Juventus-Fans das Leben kosteten und den englischen Kultklub dank einer achtjährigen Europacupsperre im Mittelmaß versinken hatte lassen.
Positive Stimmung
Schon am Nachmittag vor dem Spiel waren sie in der Innenstadt rund um den zentralen Taksimplatz durch ihre Feierlaune positiv aufgefallen, auch im Stadion war die positive Stimmung immer zu spüren. Selbst als die Liverpooler aussichtslos zurücklagen, wurde ihr Team euphorisch angefeuert, kein böses Wort über Milan war im weiten Rund der Istanbuler Betonschüssel zu hören.
Die 45.000 im Stadion wurden für ihre lautstarken Bemühungen belohnt. „Der Pokal gehört unseren unglaublichen Fans, sie haben ihn sich als 12. Mann meiner Mannschaft verdient“, meinte ein stolzer Gerrard. Ein Liverpool-Fan, der extra aus Sydney eingeflogen und schon 1985 in Brüssel dabei gewesen war, meinte nur: „Diese Nacht war die unglaublichste meines Lebens.“ Er hatte ein Finale für die Ewigkeit gesehen.
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