Wo Palästina zu Ballästina wird
Gerhard Rudolf hatte ein Schmuckstück entdeckt, ein Kleinod, das genau in seine Sammlung passt. Taraji Wadi Al-Nes spielte im Jänner gegen Shabab Al Khalel – der Erste gegen den Zweiten der West Bank Premier League (WBPL), jener Liga, in der der palästinensische Fußballmeister ermittelt wird.
Der 35-jährige Wiener bezeichnet sich als kleinen Fisch unter diesen Stadionhüpfern. Immerhin hat er einen Job, ist verheiratet, hat zwei kleine Kinder. Den Trip ins Palästinensergebiet gönnte er sich trotzdem.
Fußballmärchen
In Al-Khader, einer Stadt mit 10.000 Einwohnern, nur fünf Kilometer von Bethlehem entfernt, trägt Taraji Wadi Al-Nes seine Heimspiele aus. Ein 1:0 ebnete damals den Weg zum historischen Titel. Das Besondere daran: Wadi Al-Nes ist ein Dorf mit gerade einmal 800 Einwohnern in der Nähe von Bethlehem. Zum Vergleich: der Gegner des Dorfklubs, Shabab Al-Khaleel, kommt aus Hebron, mit 250.000 Einwohnern die größte Stadt der Westbank und verglichen mit Wadi Al-Nes eine Metropole.
Inzwischen ist das beschauliche Wadi Al-Nes zum Fußballzentrum geworden. Und längst besuchen internationale Reporter das Dörfchen, das die beste Fußballmannschaft von Palästina hervorgebracht hat.
Familienbetrieb
Yousef Abu Hamad ist der Dorfoberste und nicht nur der Vater der Fußball-Erfolge, er ist auch der Großvater des Fußballwunders. Die Fußballmannschaft von Taraji ist, wenn man so will, vor allem sein Werk. 13 Mitglieder der großen Abu Hamad-Familie kicken beim Meister, sechs Söhne und sieben Enkel von Yousef Abu Hamad.
Der familiäre Zusammenhalt ist ein Erfolgsgeheimnis, glaubt Abdil Fatar Arar, der Profitrainer von Taraji Wadi Al-Nes. "Sie spielen auch für die Familie, jeder kann sich auf jeden verlassen."
Unruhezone
Vor jedem Spiel holen sich die Kicker vom Dorfobersten den Segen und eine Umarmung, der Imam von Wadi Al-Nes, der die Mannschaft auch zum titelentscheidenden Match ins ferne Ramallah begleitete, tut alles, was in seiner Macht steht. "Ich habe gebetet, dass das Team gewinnt", sagte der Imam.
Dass in der Westbank Premier League überhaupt ein Fußballmeister gekürt werden kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Seit dem offiziellen Anpfiff der palästinensischen Liga im Jahr 1977 rückte der Fußball aufgrund der brisanten politischen Lage häufig ins Abseits. In den ersten 30 Jahren des Bestehens konnten lediglich sieben komplette Meisterschaften durchgeführt werden, zumindest seit 2008 wird nun ohne Pause gekickt.
Auf die Spieler von Taraji Wadi Al-Nes wartet nun die große, weite Fußballwelt. Als Meister dürfen sie die Farben von Palästina international vertreten. Die Familie Abu Hamad wird dann in der asiatischen Champions League am Ball sein. Und auch Gerhard Rudolf ist möglicherweise wieder mittendrin.
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