Fehlt nur noch die Wettkampfpraxis?
Natürlich fehlt der Spielrhythmus. Spiele sind das Um und Auf. Ich sehe es so: Ich hatte nun eine 17-wöchige Vorbereitung auf die EM, die beste und längste auf ein Turnier (lacht).
Im zentralen Mittelfeld haben Sie viel Konkurrenz. Erzeugt das zusätzlichen Druck, oder schauen Sie ohnehin zunächst auf sich?
Ich bin in erster Linie happy, dass es funktioniert hat. In welcher Form ich dann dem Team helfen kann, wird der Trainer entscheiden. Wir werden sehen, ob es entweder für viel, mittel oder wenig reichen wird.
Als Kapitän sind Sie auf dem Spielfeld wichtig. Sind Sie außerhalb des Platzes vielleicht wichtiger als je zuvor?
Das mag sein, aber es gibt ja auch noch andere routinierte Spieler. Jene, die auch die EM 2016 erlebt haben, wissen, welche Tendenzen entstehen können.
Wird das erste Spiel gegen Nordmazedonien das Um und Auf sein?
Ja, wir wollen mit einem positiven Ergebnis starten. Wir haben Nordmazedonien zwei Mal geschlagen, aber es wird schwer.
Die Euphorie rund um die EM ist nicht so groß wie 2016. Kann das für das Team ein Vorteil sein?
Kann sein. Wenn man beispielsweise in der Nations League in die Gruppe A aufsteigt, aber nicht immer gut spielt, entsteht nicht unbedingt eine Euphorie. Dennoch ist Fußball ein Ergebnissport. In dem Bewusstsein müssen wir in das erste Spiel gehen. Mit einem Erfolg wird der Zuspruch größer.
Ist der Aufstieg ins Achtelfinale wie eine Wetterscheide? Entweder herrscht für das Team Regen, oder es scheint die Sonne?
Das ist durchaus möglich, wenngleich ich es schon etwas differenzierter sehe. Denn im Fußball kann es Situationen geben, die man schwer unter Kontrolle bekommt. Am Ende des Tages wollen wir weiterkommen.
Hat diese EM für Sie eine besondere Bedeutung?
Sie hätte schon ohne meine Verletzung eine andere Bedeutung. Als Kapitän bist du in der Verantwortung, man ringt mit sich selbst, und hier und da mit Stimmungsströmungen nach außen hin. Die Qualifikation war richtig hart erarbeitet, ebenso der Aufstieg in der Nations League. Dazu kam dann auch noch meine Verletzung. All diese verschiedenen Punkte, die man mit 33 Jahren stärker spürt, geben dem Event eine intensivere Bedeutung.
Fühlen Sie sich mehr in der Verantwortung als früher?
Ja, das bin ich auch. Ich habe mich verantwortlich gefühlt, fit zu werden. Für meine Kollegen, aber auch allein für das Betreuerteam, in dem ich über die Jahre hinweg enge und gute Freundschaften gefunden habe. Mike Steverding hat im Reha-Prozess eine wichtige Rolle gespielt, oder ÖFB-Geschäftsführer Bernhard Neuhold, der sich immer wieder erkundigt hat, oder Physiotherapeut Chris Ogris, der seit vielen Jahren ein enger Freund von mir ist. Diese Dinge bringen dann eine persönliche Dimension mit, in der man sich noch verantwortlicher fühlt.
Nimmt die aktuelle Corona-Situation die besondere EURO-Stimmung weg?
Es hat allein schon deswegen ein anderes Flair, weil die EURO in elf Ländern ausgetragen wird. Aber vielleicht ist die EM auch eine Art Kick-Starter, weil wieder Zuschauer dabei sein dürfen. Vielleicht ist das der Weg zurück in die Normalität.
Corona beeinflusst nicht nur Ihren Beruf. Welche Auswirkungen hat es generell auf Ihr Leben?
Für mich persönlich hat sich nicht so viel verändert, weil meine Familie großteils von den Auswirkungen verschont geblieben ist. Wären meine Kinder schulpflichtig, hätte mich das als Familienvater natürlich ganz anders betroffen. Beispielsweise hat es mich allein schon berührt, dass der Spielplatz sechs Wochen geschlossen war.
Ihre Generation erlebt eine Pandemie. Ist es nicht interessant, zu sehen, wie die Menschheit damit umgeht?
Interessant ist sogar neutral ausgedrückt, manche Tendenzen waren besorgniserregend. Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, in der viele Freiheiten selbstverständlich geworden sind. Vielleicht sollten wir anerkennen, wie gut es uns eigentlich geht, und uns fragen, wie wir generell miteinander in Zukunft umgehen wollen – Pandemie hin oder her. Die sozialen Medien haben in dieser Phase auch gezeigt, welche Risiken sie mitbringen, und dass sie die Menschen auseinanderdividieren können. Diese Warnschüsse sollte man ernst nehmen und schauen, welche Gefahren die größten für uns sind und auch für die nächste Generation, die mit Apps großgezogen wird.
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