Schlierenzauer: "Meine Karriere ist nicht normal"
Zwei Weltcup-Gesamtsiege, elf Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen, dazu 53 Siege im Weltcup – man möchte gar nicht meinen, dass Gregor Schlierenzauer erst 25 ist. "Ich spüre in mir eine gewisse Müdigkeit", gesteht der Tiroler, der in Klingenthal in seine zehnte volle Weltcupsaison abhob. Die Bewerbe im finnischen Kuusamo am kommenden Wochenende wird der Tiroler nach dem nicht ganz geglückten Auftakt auslassen (mehr dazu).
KURIER: Sie merken bei sich also schon Verschleißerscheinungen?
Gregor Schlierenzauer: Körperlich bin ich topfit, das zeigen jetzt auch wieder meine Werte. Aber mein Kopf ist müde. Wenn du zehn Jahre an der Weltspitze bist, kostet das extrem viel Energie. Andererseits: Was soll da erst einer wie Noriaki Kasai sagen? Der springt mit 43 immer noch.
Natürlich hat es mich gewurmt, dass es nicht mehr so geflutscht ist wie früher. Ich hatte früher sicher einen gewissen Vorteil, auch durch das Material. Aber das Skispringen hat sich extrem entwickelt. Und die letzten eineinhalb, zwei Jahre fuchst es mich nun eben einmal. Und dann heißt es gleich: "Der hat das Skispringen verlernt."
Haben Sie es denn verlernt?
Das Problem ist ja, dass man bei mir immer nur vom Gewinnen redet, und nicht von einem 15. Platz. Natürlich habe ich mir das auch selbst eingebrockt. Trotzdem blicke ich heute gerne auf die letzte Saison zurück. Die WM-Silbermedaille war emotional einer der größten Erfolge. Im Nachhinein betrachtet war diese Saison extrem wertvoll.
Inwiefern wertvoll? Weil Sie jetzt auch die Schattenseiten kennengelernt haben?
Natürlich ist es lässig von Sieg zu Sieg zu springen. Diese einfachen Erfolge haben im Endeffekt aber nicht den Schweiß, der zum Sport dazugehört. Nach Erfolgen, für die du viel arbeiten musstest, bist du innerlich definitiv zufriedener. Deshalb sage ich: Als Persönlichkeit hat mich der letzte Winter weitergebracht. Und vielleicht ändert sich jetzt auch die Drucksituation.
Was meinen Sie konkret?
Hat Sie das belastet, dass Sie Siege liefern mussten?
Wenn’s flutscht, dann ist es ja eine einfache Situation. Dann kriegt man das nicht mit, weil eh alles von alleine läuft. Aber wehe es passt nicht zu hundert Prozent. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht narrisch machen lassen darf. Ich weiß, dass mein Potenzial immer noch riesig ist, aber ich war im letzten Winter im Weltcup Zehnter: Das heißt, dass ich was aufzuholen habe. Trotzdem muss es mein Ziel sein, mein Potenzial konstant abzurufen, und das auf höchstem Niveau. Im Idealfall würde dann am Ende der Saison eine Kristallkugel vergeben werden. Aber man kann jetzt nicht davon ausgehen, dass ich alles in Grund und Boden springe. Es kann genauso passieren, dass die heurige Saison nicht klappt. Und wissen Sie was?
Auf was wollen Sie jetzt hinaus?
Ich finde, das gehört zu einer richtigen Karriere auch dazu. Mir fällt jedenfalls kein Top-Athlet ein, bei dem’s immer nur bergauf gegangen wäre oder der zehn Jahre ununterbrochen die Nummer eins gewesen wäre.
Sie haben immerhin in jeder Saison zumindest einmal gesiegt?
Wenn man die Ergebnislisten anschaut, dann ist es eh ein Wahnsinn, was ich geschafft habe. Was ich alles schon gewinnen durfte – meine Karriere ist eigentlich nicht normal.
Der nächste Sieg wäre Ihr 54. Dann wären Sie gleichauf mit Hermann Maier.
Wie weit blickt einer wie Sie eigentlich in die Zukunft? Ist die Heim-WM 2019 ein Ziel?
Ein Fernziel auf alle Fälle. Aber ich lebe in der Gegenwart und möchte alles step by step angehen. Ich bin zwar noch sehr jung, aber die zehn Jahre im Weltcup haben wirklich viel Energie gekostet. Ich kann mir schon gut vorstellen, dass ich einmal eine Pause einlege, wie zum Beispiel Tina Maze, um dann noch einmal durchzustarten. 2019 ist jedenfalls die Marke, auf die ich hinarbeite, ob ich dann noch einmal Olympische Spiele anhängen werde, kann ich heute nicht sagen.
Die Winterspiele 2022 finden in Peking statt. Wie geht’s Ihnen damit?
Ganz ehrlich: Das ist eine Katastrophe. Man kann nur den Kopf schütteln, wohin sich der Sport entwickelt hat. Olympische Spiele stehen eigentlich für Werte wie Fairness und Gemeinschaft. Aber da denkt man sich, man ist im falschen Film.
2006/2007 (Gesamt-Weltcup: Rang 4) 5 Siege
2007/2008 (Gesamt-Weltcup: Rang 2) 6
2008/2009 (Gesamt-Weltcup: Rang 1) 13
2009/2010 (Gesamt-Weltcup: Rang 2) 8
2010/2011 (Gesamt-Weltcup: Rang 9) 3
2011/2012 (Gesamt-Weltcup: Rang 2) 5
2012/2013 (Gesamt-Weltcup: Rang 1) 10
2013/2014 (Gesamt-Weltcup: Rang 6) 2
2014/2015 (Gesamt-Weltcup: Rang 10) 1
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