Katar präsentiert sich der Welt in den kommenden Wochen. Und zwar als freundliches und multikulturelles, modernes und sicheres Land – so der Plan des Herrscherhauses. Das hatte seinen Preis. Die Schätzungen der Gesamtkosten der Fußball-Weltmeisterschaft reichen bis zu 200 Milliarden US-Dollar. Das ist verdammt viel Geld für 64 WM-Spiele und damit 5.760 Minuten Fußball (Nachspielzeiten und Verlängerungen nicht miteingerechnet).
Acht Stadien wurden in den Sand gesetzt, viele sollen nach der Weltmeisterschaft zur Gänze oder teilweise wieder abgebaut werden. Aber den Arenen gilt nicht das Hauptaugenmerk. Die ersten drei U-Bahn-Linien sind entstanden, sie steuern fünf der acht WM-Schauplätze direkt an. Fahrer- und beinahe geräuschlos sausen sie durch den Untergrund, derzeit im Zwei-Minuten-Takt und sehr oft sehr leer.
Wirklich wichtig werden könnte das Transportmittel nach der Fußball-WM, vor allem für die vielen Gastarbeiter und deren Familien, immerhin werden dadurch das Hauptspital und viele Bildungseinrichtungen erschlossen. Ob man die Linien nicht auch ohne Fußball-WM hätte bauen können, um den Menschen das Leben zu erleichtern, ist eine andere Frage.
Das nun stattfindende Weltereignis markiert in der Weiterentwicklung des Landes jedoch nur eine Zwischenetappe, wenngleich die wichtigste. Mit der „Vision 2030“ will sich Katar unabhängig machen von den Öl- und Gasvorkommen, die den Wüstenstaat reich und wichtig werden ließen.
Steter Wandel – der war immer entscheidend in der Geschichte des kleinen Landes am Persischen Golf. Vor 100 Jahren lebten die rund 16.000 Menschen, organisiert in Beduinenstämmen, von den Perlen, die sie im Meer fanden. Als diese Quelle zu versiegen drohte, erschloss man eine neue. Man bohrte anstatt zu tauchen, und die Beute wurde nur noch fetter.
Von der Tradition der Perlentaucher ist nicht mehr viel übrig, abgesehen von den hölzernen Fischerbooten, die nun an der Strandpromenade als Touristenattraktion dienen. Um ein paar Euro kann man sich darin entlang der Corniche durch das Wasser schippern lassen, im Hintergrund dient entweder die funkelnde Skyline von Doha als beliebtes Selfiemotiv oder das nicht minder imposante Nationalmuseum, entworfen vom französischen Star-Architekten Jean Nouvel.
Alles scheint hier ineinanderzufließen – Licht, Wasser, Kulturen. Die Bevölkerung Katars besteht aus rund 90 verschiedenen Nationen, größtenteils aus Südostasien und Afrika. Sie machen etwa 85 Prozent der Bevölkerung aus und sind auch im Stadtbild allgegenwärtig. Am Freitag, zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel, genießen viele von ihnen an der Strandpromenade ihren einzigen freien Tag pro Woche.
Bereits am Samstag haben sie wieder das katarische Leben am Laufen gehalten, indem sie geputzt, Taxis gesteuert oder Kaffee serviert haben. Sie tun dies ohne laute Töne, stets zurückhaltend und mit freundlichen Mienen, in denen sich aber die Anstrengungen der bis zu 16 Stunden langen Arbeitstage erkennen lassen. Arbeitskraft ist wenig wert in Katar. Das weiß man aus den Berichten von Menschenrechtsorganisationen – und das sieht man an vielen Ecken.
Die Mehrheit der Fußballfans, die man derzeit durch die bunt geschmückte Stadt ziehen sieht, kommt aus Südostasien. Sie tragen Messi-, Ronaldo- oder Neymar-Trikots, sie singen und trommeln – und haben damit für breite Diskussionen gesorgt. Wurden sie von Katar gekauft, um für WM-Stimmung zu sorgen? Während das Land lediglich von einigen wenigen Einladungen ohne Auflagen sprach, sah sich Europa mit einer Rassismus-Debatte konfrontiert. Wer sagt, dass ein Brasilien-Anhänger nicht indische Wurzeln haben darf?
Ausgerechnet Iran!
Dennoch wird man da und dort den Eindruck nicht los, dass die Wahrheit ein bisschen zurechtgebogen wurde. Etwa in der U-Bahn bei jener Familie aus Bangladesch, die mit iranischen Schals und Fahnen ausgestattet ist. Ausgerechnet der Iran! Dass es derzeit sympathischere WM-Starter gibt, ist das eine. Dass der Autor dieser Zeilen aber mehr iranische Teamspieler nennen kann (2) als die kleine Fangruppe, ist mitunter entlarvend.
Man kann ihnen nur wünschen, dass sie etwas zu feiern haben werden. Vielleicht schon am Montag, wenn der Iran die Vorrunde eröffnet. Gegen England, die einstige Kolonialmacht in Bangladesch.
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