Griechenland: "Wie soll man da noch sparen?"

Griechenland: "Wie soll man da noch sparen?"
Immer tiefer rutscht das Land in die Armut. Die meisten Griechen wollen vor allem eines – keine neuen Härten

Dort sollten Sie keinesfalls hingehen", warnt der Taxichauffeur eindringlich. Kurzerhand schnappt er sich den Stadtplan von Athen und kreist ein ganzes Viertel östlich des Omonia-Platzes ein. Was sich hier – abseits der Touristenpfade, aber immer noch mitten im Zentrum der griechischen Hauptstadt – breit gemacht hat, ist ein Sittenbild des Elends: verfallende Häuser, bröckelnde Fassaden, verbarrikadierte, leere Geschäfte, Obdachlose, Prostituierte, Drogensüchtige. Alle jene, die Athens Touristen nicht zu Gesicht bekommen sollen, werden von der Polizei in das Elendsviertel abgedrängt.

Doch die Schar der Verzweifelten, die mit Krise und Not nicht mehr zurande kommen, wächst jeden Tag. Fünf Jahre Rezession hat Griechenland hinter sich. Fünf Jahre, in denen die Wirtschaftsleistung des Landes um ein Fünftel gesunken und die Zahl der Arbeitslosen von 400.000 auf 1,1 Millionen hochgeschnellt ist.

Das Ersparte ist weg

Melina T. ist eine davon. Ihren Job als Verkäuferin in einem kleinen Damenmodengeschäft hat sie bereits vor eineinhalb Jahren verloren. Aussichten auf eine neue Arbeitsstelle: null. Mittlerweile sind alle Ersparnisse verbraucht, und mit einer Arbeitslosenunterstützung von knapp 550 Euro reicht das Geld für die allein erziehende Mutter und ihre vier Kinder meist nur bis zur Mitte des Monats.

"Irgendwann hat sie völlig verzweifelt bei uns angerufen und geschluchzt, dass sie nichts mehr zu essen haben: Einfach gar nichts, kein Mehl mehr, kein Öl, keine Eier", schildert Xenia Papastavrou. Die Leiterin der Hilfsorganisation "Boroume" vermochte der Familie zwar zu helfen, doch auch sie gesteht ein: "Wir kommen mit den Anfragen kaum nach, es gibt immer mehr Menschen, die sich Ende des Monats nichts mehr zu essen leisten können. Die Schlangen vor den Suppenküchen werden immer länger."

Forderungen, wonach Griechenland noch mehr sparen müsste, hören sich in den Ohren der meisten Griechen wie Hohn an. "Ich gestehe ein, dass wir sehr viele Reformen vor uns haben", nickt Papastavrou, "aber viele Menschen sind – ohne Arbeit und ohne Einkommen – schon ganz unten angekommen. Wie soll man da noch sparen?" Was viele Griechen besonders erbittert: Von den knapp 80 Hilfsmilliarden, die Hellas bisher erhalten hat, gingen rund 90 Prozent an die Banken, die wiederum sofort ihre Auslandschulden bedienten.

Dimitris Athanasiou, stellvertretender Leiter eines Luxushotels in Athen, lässt mittlerweile täglich 40 Mahlzeiten für Bedürftige zubereiten. Und das soll bis auf Weiteres so bleiben, auch wenn die Wirtschaftskrise selbst den Tourismus erfasst hat. "Im Vergleich zum Vorjahr sind die Buchungen um 20 Prozent zurückgegangen, und das nicht nur bei uns", schildert er dem KURIER. Lohnkürzungen, so seufzt er, würden wohl unausweichlich werden, "wenn wir nicht Personal abbauen wollen."

Anastasios Charou hat diesen Schnitt bereits hinter sich. 30 Jahre lang war der Besitzer eines kleinen Geschäfts nahe Athens Syntagma-Platz mit zwei Bediensteten gut über die Runden gekommen. Dann kam die Krise – und der Konsum brach ein. Seinen Angestellten musste Charou kündigen. Von Glück könne er reden, meint er, wenn er sein Geschäft verkaufen und in Pension gehen könne. Doch auch Rentner traf die Krise: Um bis zu ein Drittel wurden die Pensionen gekürzt.

Dabei würde Anastasios Charou jetzt mehr Geld denn je brauchen: Soeben sind sein Sohn und seine jüngste Tochter wieder in die Wohnung der Eltern zurückgezogen. Eine eigene Bleibe konnten sich der arbeitslose junge Ingenieur und seine Schwester, der als Vorschullehrerin der Lohn um 30 Prozent gekürzt wurde, nicht mehr leisten.

Mehr zum Thema

  • Hintergrund

  • Hintergrund

Kommentare