Gilewicz: "Polen wollen Erfolge sehen"

Gilewicz: "Polen wollen Erfolge sehen"
Experten-Urteil: Der ehemalige Torschützenkönig über Land & Leute, Hoffen & Bangen und die Polenwitze.

Radoslaw Gilewicz holte mit dem FC Tirol und Austria Wien vier österreichische Meistertitel und war 2001 Torschützenkönig. Heute arbeitet der 41-Jährige als Spielerberater und ist TV-Experte.

KURIER: Polen wird zum Kreis der Geheimfavoriten gezählt: Zu Recht?
Radoslaw Gilewicz: Langsam, langsam. Alle fordern, dass Polen in dieser Gruppe weiterkommen muss. Aber es muss schon alles passen, damit wir aufsteigen. Dafür hat das Team in den letzten Jahren zu wenig erreicht. Vor allem, wenn es drauf ankam, bei den Turnieren.

Aber jetzt verfügt Polen über Stars wie Lewandowski, Piszczek, Blaszczykowski.
Was die drei in Dortmund geleistet haben, ist sensationell. Polen hatte schon lange nicht mehr so gute Spieler wie jetzt. Ein Vorteil ist, dass sie durch die Bundesliga gelernt haben, mit Druck umzugehen.

Lastet auf der polnischen Nationalmannschaft denn so ein hoher Druck?
Die Erwartungshaltung ist in Polen immer hoch. Fußball ist bei uns die Einser-Sportart, wir haben 40 Millionen Teamchefs.

Trotzdem wurde seit 30 Jahren nie mehr ein Fußballer zu Polens Sportler des Jahres gewählt, sondern Bahnradfahrer, Ringer und Kanuten. Wieso das?
Weil es seit Zbigniew Boniek keinen Superstar mehr gegeben hat. Außerdem dürfen wir Adam Malysz und seine Mega-Erfolge nicht vergessen. Gegen den ist jeder Fußballer chancenlos.

Genießt er wirklich in Polen so einen Kultstatus?
Als er top war, war er der absolute Superstar. Gleich hinter dem Papst. Unglaublich, was sich bei uns im Skispringen abgespielt hat. Aber so sind die Polen.

Fanatisch?
Die Polen sind sehr leicht zu begeistern. Aber: Sie wollen Erfolge sehen. Wenn jemand erfolgreich ist, dann zieht das ganze Land mit. Das war bei Malysz so, bei Kowalczyk, der Langläuferin, und es wird beim Nationalteam auch so sein, wenn der Erfolg da ist.

Welchen Stellenwert genießt überhaupt der Sport in Ihrer Heimat?
Wir haben heute ähnliche Probleme wie überall. Es ist schwer, die Kinder vom Computer wegzubringen, die werden immer dicker. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Viele sind einfach zu bequem geworden.

Eine Frage der Mentalität?
Möglicherweise auch. Du siehst es bei den Jugendlichen im Training: Die wollen sich nicht quälen, sondern wollen nur nicht zu viel machen. Nach dem Training bleibt da keiner freiwillig auf dem Platz. Vielen musst du immer in den Hintern treten.

Sie waren jahrelang als Profi im Ausland. Wie sehr hat sich Polen in dieser Zeit verändert?
Wenn jemand uns mit der Ukraine vergleicht, dann ist das nicht korrekt. Seit dem EU-Beitritt ist die Lebensqualität bei uns eine ganz andere. Ich sag’s ganz offen: Ich wäre nicht zurückgekommen, wenn sich Polen nicht vorwärts entwickelt hätte. Und wenn von 16 ehemaligen Nationalspielern, die im Ausland Karriere gemacht haben, 15 heute wieder in Polen leben, dann spricht das für unser Land.

Trotzdem werden immer noch Polenwitze erzählt.
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, das geht mir total am Arsch vorbei. Aber vielleicht denken nach der EURO einige anders.


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