WM in Katar: Was die Brasilianer und Portugiesen am besten können

WM in Katar: Was die Brasilianer und Portugiesen am besten können
Wie zwei Teams im eigenen Ballbesitz Räume schaffen, die andere nur im Konter finden.

von Gerhard Struber

Zu den schwierigsten Dingen im Fußball zählt für mich, einer Favoritenrolle gerecht zu werden. Einerseits wegen der psychologischen Komponente, eher etwas zu verlieren zu haben. Zum anderen spielt man meist gegen einen tief stehenden Gegner, der die Räume vor dem Tor extrem eng macht. Da hochwertige Chancen zu kreieren, ist kompliziert. Zwei Teams haben das bei dieser WM, speziell im Achtelfinale, allerdings besonders gut hinbekommen: Brasilien und Portugal.

Sie haben aufgezeigt, wie man einen tief verteidigenden Block nicht nur über Kombinationen bespielt, sondern auch über individuelle Qualität brechen kann. Noch besser als andere Topteams wie England oder Frankreich beherrschen es die beiden, aus ihrem eigenen Ballbesitz heraus über Rhythmuswechsel Räume aufzureißen. Gefährliche Räume in Tornähe, die viele andere Teams meist nur in Kontersituationen vorfinden, wenn generell mehr Platz ist. Die Brasilianer und Portugiesen schaffen es allerdings, ihre Gegner auf engstem Raum zu überfordern, massiv Chaos zu stiften.

Hier werden bewusst Ballbesitz-Situationen kreiert, mit denen die Gegner zunächst auf einer Spielfeldseite gebunden werden. Und plötzlich, von einem Moment auf den anderen, wird über eine Kombination im allerhöchsten Tempo das Spiel in eine ganz andere Position verlagert. Dadurch werden Situationen geschaffen, in denen die Top-Spieler ihr außergewöhnliches Talent erst richtig ausspielen können, zum Beispiel durch Dribblings in freigewordene Räume. Diese Rhythmus-Wechsel in höchster Qualität habe ich bisher nur bei diesen beiden Teams gesehen.

Harmlose Spanier

Im Vergleich dazu haben es die Spanier in Katar nicht verstanden, aus ihrem vermehrten Ballbesitz genügend gefährliche Momente zu schaffen. Da wurde viel kombiniert, es gab aber viel zu wenig Tiefe im Spiel – ein wichtiges Mittel, das ebenso Räume schafft. Viel zu selten ist es ihnen gelungen, mit Tempo und dem richtigen Timing hinter die Abwehrkette ihrer Gegner zu kommen.

Bei den Portugiesen kommt dazu, dass sie auch spät im Spiel noch unglaublich viel Qualität von der Bank bringen können, wie etwa gegen die Schweiz mit Rafael Leao. Ein Spieler, der für mich derzeit zu den spannendsten in ganz Europa zählt, kommt in der 87. Minute, funktioniert sofort und setzt noch ein Tor drauf.

Spannend bleibt in dieser Hinsicht auch die Personalie Cristiano Ronaldo. Stars wie er, die spezielle Dinge für sich einfordern, können andere Entwicklungen auch bremsen. Wenn aber ein Trainer den Mut aufbringt, diesen Schritt zu machen und diesen Star auf die Bank zu setzen, kann das innerhalb des Teams auch eine sehr positive Dynamik hervorrufen. Wenn es Ronaldo gelingt, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen, wird Portugal schwer zu bremsen sein.

Der 45-jährige Salzburger Gerhard Struber coachte in England den FC Barnsley und ist seit 2021 Cheftrainer der New York Red Bulls.

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