Jahrzehntelang erforschte Roman Horak den Fußball und seine Fans. Bis zu seiner Pensionierung leitete der 67-Jährige die Abteilung für Kulturwissenschaften an der Universität für angewandte Kunst. Nicht nur als Rapid-Fan fürchtet sich Horak vor den Geisterspielen.
KURIER: Geht Ihnen der Fußball fünf Wochen nach dem letzten Spiel ab?
Roman Horak: Mir geht meine Runde von Freunden ab. Wir sind 5 bis 15 Menschen, die sich seit rund 30 Jahren beim Wirten treffen und dann zum Spiel gehen. Mir geht auch das Spiel ab, obwohl die Rapid meistens ein Elend ist. Und mir geht ab, dass ich mich nicht über die Rapid ärgern kann. Mir geht also das ganze Paket ab.
Ist das Spiel nur ein Teil des Fußballs?
Ja. Als ich in den 80er und 90ern Fan-Forschung betrieben habe, war zu hören: Das Spiel ist ein Auslöser, aber es geht mehr um das soziale Rundherum. Fußball ist mehr als die 22 Hans’ln, die dem Ball nachlaufen. So erlebe ich es auch: Im Stadion ist es noch erlaubt, eine längt überholte Männerkultur auszuleben. Ich erlaube mir, mich zu entäußern und Dinge zu sagen, die ich sonst nicht von mir hören will.
Rudolf Edlinger hat als Rapid-Präsident gemeint, der Verein wäre die größte sozialtherapeutische Anstalt des Landes. Österreich fehlt demnach derzeit einiges.
Ich würde es nicht so radikal formulieren, aber da ist was Wahres dran. Reste von dunklen, atavistischen Verhaltensweisen, die aus gutem Grunde tabuisiert sind, haben im Stadion noch ihren Platz. Mich haben Rassismen und Homophobie von Fans immer gestört, aber den Schiri Arschloch zu schimpfen – das muss auch im 21. Jahrhundert noch drinnen sein. Das hat dann auch was Therapeutisches.
Vor 120 Jahren wollten die Cricketer in Wien in Ruhe spielen, Zuschauer waren nicht erwünscht. Seit gut 100 Jahren ist der Fußball allerdings auch ein massenkulturelles Spektakel. Er lebt zum einen davon, dass sich die Menschen für ein paar Stunden austauschen können, Illusionen machen und dann meistens enttäuscht werden. Und es gibt eine zweite besondere Ebene.
Und zwar?
Das ist der direkte Einfluss aufs Spiel: Zuschauer agieren mit Spielern und machen sie besser. Ohne diesen Einfluss gäbe es keinen Heimvorteil. Es spielen nicht nur die Spieler, jeder Zuschauer gestaltet mit. Am stärksten die Lauten in der Kurve, aber auch alle anderen.
Der Medienkünstler Peter Weibel hat in einem Text für NZZ und Standard beschrieben, dass der Fußball endlich zum TV-Sport werden darf, der er schon länger ist. Und dass sich herausstellt, dass die ganzen teuren Stadien nutzlos sind. Sie werden widersprechen, oder?
Weibel ist ein Strukturalist und Plauderer, der nicht begriffen hat, worum es in diesem Sport geht. Der Fußball nur als TV-Ereignis ist kein Fußball mehr, er würde zum Videospiel. Fußball ist als Messe zu feiern, an der nicht nur der Pfarrer teilnimmt, sondern auch alle Gläubigen, die sich im Stadion versammelt haben. Was ist ein Torjubel ohne Zuschauer? Leer. Für die neue Inszenierung brauchte es eine neue Fernsehsprache.
Warum?
Weil dieser so wichtige Schnitt auf die jubelnden Fans wegfällt. Oder denken Sie an Liverpool: Ein riesiger Verein, aber wenn sich da nicht mehr das Stadion erhebt, um "You’ll never walk alone" zu singen, wird etwas Entscheidendes fehlen.
Wir werden uns bei Geisterspielen daran gewöhnen müssen.
Es kann sein, dass es jetzt nicht anders geht. Aber Geisterspiele werden nur noch Fußball-ähnliches hervorbringen. Das Spiel wird zum entmenschlichten Spektakel werden. Alles, was den Fußball ausmacht, wird fehlen. Nichtmal das Simulieren von Gemeinschaftlichkeit im Wettbüro oder im Wirtshaus wird in nächster Zeit erlaubt sein. Ja, was ist denn das dann überhaupt noch? Ich bin auch auf den Rhythmus der Geisterspiele gespannt.
Wie meinen Sie das?
Ich habe eine Menge Spiele gesehen und so viele sind an diesem besonderen Punkt gekippt, an dem das Publikum merkt – Hallo, da geht was. Daraufhin wird es lauter, das merken auch die Spieler und die Partie nimmt einen unvorhersehbaren Verlauf. Das ist ein Massenaffekt, der kaum zu beschreiben, aber dauernd zu beobachten ist. Das funktioniert schon bei ein paar Hundert Zuschauern. Diese Dynamik macht Fußball aus und die fehlt beim Geisterspiel.
Als Folge der Geisterspiele müsste die Begeisterung für Fußball also bald abnehmen.
Ich bin ein alter Pessimist, aber das glaube ich nicht. Es wird eine Leere da sein, auch für die Spieler, für die das absurd sein muss. Aber der Hunger nach realen Erlebnissen wird so groß sein, dass die Leute den Fußball wieder genießen werden, sobald es möglich ist. Dieses Ding hat alle Modernisierungsvarianten überlebt, es wird auch die Geisterspiele überleben.
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