WM-Serie, Teil 15: Portugal und seine Solo-Spitze
Erinnert sich eigentlich noch wer an Éderzito António Macedo Lopes vulgo Éder?
Der Mann, der Portugal zum größten Triumph seiner Fußballgeschichte verholfen hatte, ist praktisch in der Versenkung verschwunden. Wer sich an das EM-Finale 2016 in Paris zurückerinnert, dem kommt als erstes Cristiano Ronaldo in den Sinn, wie er sich verletzt, hemmungslos weint, um schließlich als Aushilfscoach seine Kollegen von der Bank aus zum Titelgewinn zu dirigieren. Das entscheidende Weitschusstor von Éder zum 1:0-Erfolg gegen Frankreich haben vermutlich viele längst schon wieder vergessen.
Der EM-Held wird sich bei der WM in Russland nicht in Erinnerung rufen können. Der 30-jährige Stürmer wurde von Teamchef Fernando Santos wie viele andere Europameister für die Endrunde nicht berücksichtigt. Auch Renato Sanches, der Senkrechtstarter der EM 2016, hat kein Leiberl. Von der Mannschaft, die vor zwei Jahren den Titel gewann, sind insgesamt nur noch 13 Spieler dabei. „Aus menschlicher Sicht ist es sehr hart, Spieler auszumustern, die 2016 dabei waren“, sagt Teamchef Santos. „Sie haben alle dazu beigetragen, ein großartiges Kapitel in der Geschichte des portugiesischen Fußballs zu schreiben. Aber ich musste Entscheidungen treffen, die für mich besser passen.“
Abhängigkeit
Die vielen neuen Gesichter bedeuten aber noch lange nicht, dass sich der Europameister seit dem Turnier in Frankreich auch neu erfunden hätte. Portugal ist und bleibt ein Ein-Mann-Unternehmen. Das Hilfspersonal an seiner Seite ändert sich, aber Cristiano Ronaldo ist der Spieler, um den sich alles dreht. Um den sich vor allem auch alles drehen muss. Denn ohne die Tore, Assists und Inputs des Superstars, der seit 2011 in jeder Saison mindestens 50 Pflichtspieltore erzielt hat, wäre der Europameister wohl nur eine bessere Allerweltsmannschaft.
16 Treffer gelangen Ronaldo allein in der vergangenen WM-Quali, die die Portugiesen erst im letzten Match fixieren konnten. Aber wehe, der 33-Jährige erwischt einmal nicht seinen besten Tag. Dann werden den Portugiesen schnell einmal die Grenzen aufgezeigt. Erst im März setzte es für den Europameister gegen die Niederlande ein empfindliches 0:3.
Außenseiter
Cristiano Ronaldo sieht sein Team in Russland jedenfalls nur in der Außenseiterrolle. „Für mich sind Spanien, Deutschland, Frankreich, Argentinien und Brasilien Favoriten“, erklärt der Star von Real Madrid und übt sich in ungewohnter Zurückhaltung. „Wir müssen mit beiden Beinen auf dem Boden und bescheiden bleiben. Es muss Schritt für Schritt gehen.“
Das heißt im Fall von Cristiano Ronaldo: Die Weltmeisterschaft ist für ihn noch Zukunftsmusik, seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Champions-League-Endspiel am Samstag in Kiew (20.45 Uhr, live ORF eins), in dem Real Madrid gegen Liverpool Jagd auf den dritten Titel in Serie macht. Mit einem fitten Ronaldo, der Portugiese hat sich nach seiner Oberschenkelverletzung rechtzeitig für das Endspiel zurückgemeldet.
Mit einem gesunden Cristiano Ronaldo sei dann für Portugal bei der WM alles möglich, glaubt der frühere portugiesische Teamkapitän Luis Figo: „Wir haben ein eingespieltes Team mit starker individueller Klasse.“ Optimistischer Nachsatz: „Portugal kann Weltmeister werden.“
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