Fußball-Legende Pelé: Vom Nationalhelden zum Einsiedler
Wenn ein 81-Jähriger im Krankenhaus wegen eines Dickdarmtumors nach zwei Wochen Behandlung am 23. Dezember aus dem Krankenhaus entlassen wird, um Weihnachten bei seiner Familie feiern zu dürfen, dann kommen düstere Gedanken auf. So auch im Falle Pelés.
Mit einer kurzen Weihnachtsnachricht wandte er sich via Social Media an seine Millionen Follower.
Doch bis auf seine virtuellen Posts is aus der Lichtgestalt des Fußballs ist in den letzten Jahren ein Schattenmann geworden. Der Fußballheld will sich den Fans nicht schwach und gebrechlich zeigen.
„Ich habe 30 Jahre Fußball gespielt, ohne je Probleme gehabt zu haben. Jetzt hat mir Gott die Rechnung serviert“, sagte Brasiliens Fußball-König Ende 2018 der Zeitung Folha de S. Paulo. Er unterzog sich mehreren Operationen an der Hüfte. Zudem hatte er Probleme an der Wirbelsäule und am Knie. Vor zwei Jahren wurde ihm nach einer Harnwegsinfektion ein Nierenstein entfernt.
Der König
„O Rei“ hatten sie Pelé einst genannt, den König. Doch der lebt nicht in einem Palast, sondern zurückgezogen in seinem Haus in São Paulo. Sein Sohn Edinho sagt: „Man muss sich vorstellen: Er ist der König, er war immer eine so imposante Figur – und jetzt kann er nicht mehr richtig gehen. Es beschämt ihn, das führt zu einer gewissen Depression.“
Pelé gab Brasilien einst ein Gesicht, es war stolz und erfolgreich. Pelé wurde aber auch zu einem globalen Phänomen – mit der Zeit begeisterte er nicht mehr nur Brasilien, sondern die ganze Welt. Er war der erste weltweite Fußballstar und sorgte für eine unglaubliche Massenhysterie. Diese schuf etliche Legenden rund um den Mythos Pelé.
Als Pelé mit dem FC Santos 1967 auf Tournee ging, die auch nach Nigeria führte, schlossen Regierung und Rebellen einen 48-stündigen Waffenstillstand, die Soldaten saßen zusammen auf der Tribüne und bejubelten jeden Ballkontakt des Stars.
Als Pelé im November 1969 sein 1.000. Tor erzielte, stürmten die Zuschauer den Platz, zogen ihm ein Trikot mit der Nummer 1.000 an. Das Spiel musste für eine halbe Stunde unterbrochen werden. In ganz Brasilien läuteten die Glocken.
Als Pelé in einem WM-Qualifikationsspiel eine Rote Karte erhielt, waren die gegnerischen Fans darüber so aufgebracht, dass der Schiedsrichter Pelé weiterspielen ließ.
Pelé war jener Fußballer, der Sagen wahr werden ließ und das in jener Zeit, in der die ersten Fernseher erschwinglich wurden – die ideale Plattform. Als sich der Stürmer 1970 während eines WM-Spiels in Großaufnahme seine Schuhe band, schossen die Umsätze des Sportartikelherstellers in die Höhe.
Pelé Edson Arantes do Nascimento wurde am 23. Oktober 1940 in Tres Coracoes im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais geboren als ältestes Kind von Dona Celeste und Dondinho. Er hat einen Bruder (Zeca) und eine Schwester (Maria Lucia).
1.301Tore in 1.390 Spielen hat Pelé erzielt (775 davon in 841 Pflichtspielen). Er spielte zwischen 1957 und 1974 für Santos und 1975 bis 1977 bei New York Cosmos.
Mit dem Nationalteam wurde er 1958, 1962 und 1970 Weltmeister. In 92 Teamspielen schoss er 77 Tore.
Der Faszinierende
Pelé war also schon immer mehr als ein Fußballer. Er stand und steht über der Diskussion, wer denn der beste Fußballer der Welt war oder ist. Pelé ist schlichtweg das Ebenbild des modernen Fußballers. Sein Erbe ist jenes der großen Zehner, die die Kultur und Faszination des Fußballs bis heute bestimmen. Sein Aufstieg gab den Menschen Hoffnung.
Mythos, Symbol, Mensch – all das hat aber einen Hintergrund, den sportlichen Erfolg. So eine Ballkunst und Ballbeherrschung war damals in Europa noch unbekannt. Pelé besaß eine außergewöhnliche Technik, war enorm beweglich und vor allem schnell wie kaum ein anderer Spieler in jener Ära (unter 11 Sekunden auf 100 Meter). Er verfügte zudem über eine gute Kondition, war extrem ehrgeizig und bestach mit seiner Athletik, kaum jemand hatte eine solch enorme Sprungkraft wie der nur 1,73 Meter große Stürmerstar des Vereins Santos. Er war aber auch taktisch intelligent. Pelé war nicht nur Mittelstürmer, sondern auch hängende Spitze und Spielmacher in einem.
In Bestzeiten verdiente er in einem Jahr fast 300.000 Dollar (das wären heute gut und gern 12,5 Millionen Euro). Mit 20 Jahren veröffentlichte er seine Autobiografie und erhielt dafür weit mehr als 300.000 US-Dollar.
Der Bodenständige
Doch er hat nie seine Wurzeln vergessen. Die Mutter Dona Celeste war Wäscherin, Vater Dondinho war Provinz-Fußballer bei einem Klub, dessen charismatischer Tormann Pelé Namensgeber für das junge Talent war. Sein Aufstieg war eng verbunden mit seiner Abstammung aus den Favelas und seinem Charakter. Eine Schulbildung verweigerte er, da half er lieber seiner Familie, indem er Schuhe putzte oder Erdnüsse suchte und verkaufte. Als er seine Karriere startete, war er der kleine Bub in einem Mittelklasseverein, der mit seiner unbekümmerten Spielweise die Fachwelt faszinierte.
Als er nach dem WM-Sieg vor aller Welt zu Weinen begann, stand diese Geste exemplarisch für den ehrlichen und authentischen Jüngling, der sich mit seinem Talent und seiner harten Arbeit aus den Slums befreite und den Menschen dort Hoffnung gab. Pelé blieb stets authentisch. Er war gläubiger Katholik, verzichtete auf Alkohol und Nikotin.
1957 hatte bei Santos seine Karriere als Profispieler begonnen, in seiner ersten Saison und im Alter von erst 16 Jahren wurde Pelé bereits Torschützenkönig. Noch im gleichen Jahr feierte er sein Debüt in der Nationalmannschaft, mit der er 1958 sogar den WM-Titel holte. Er war gerade 17 Jahre alt, als er im Finale gegen Schweden einen Treffer erzielte und ist bis heute der jüngste Fußballweltmeister aller Zeiten. Auf diesem Video der FIFA werden die Ereignisse bei der WM 1958 zusammengefasst.) Mit Pelé wurde Brasilien auch 1962 und 1970 Weltmeister.
Der Gastspieler
1974 beendete er seine Karriere offiziell, brachte aber von 1975 bis 1977 bei New York Cosmos mit Franz Beckenbauer Glanz in den US-amerikanischen Fußball. Es war ein quasi erzwungenes Comeback. Im Alter von dreißig Jahren hatte Pelé zwar seine Schulbildung nachgeholt, doch seine Fähigkeiten überschätzt – bei einem dubiosen Investment hatte er viel Geld verloren, weshalb er das Millionenangebot aus den USA annahm.
1966 heiratete er das erste Mal. Rosemeri hatte europäische Wurzeln, die beiden bekamen zwei Töchter und einen Sohn. Dieser, Edinho, wurde wegen Drogenmissbrauchs und Mordes 1999 zu lebenslanger Haft verurteilt, doch das Urteil wurde annulliert. Er kam 2005 frei. 1982 ließ sich Pelé von Rosemeri scheiden, nachdem er sie mit einer 17-Jährigen betrogen hatte, dem späteren Model Xuxa, mit der er fünf Jahre liiert war. 1994 heiratete Pelé ein zweites Mal, die 20 Jahre jüngere Gospelsängerin Assiria Seixas, mit der er Zwillinge bekam und von der er sich 2008 scheiden ließ.
Der Ausgezeichnete
Seine private Unruhe konnte seinem Mythos nichts anhaben. Er war UN-Sonderbotschafter, wurde „Weltfußballer des 20. Jahrhunderts“und vom Internationalen Olympischen Komitee im Jahr 1999 sogar zum „Sportler des Jahrhunderts“ gekürt. 1995 wurde er sogar Sportminister in Brasilien – eines seiner Gesetze sorgte sogar für abnehmende Korruption und mehr Selbstbestimmung der brasilianischen Jungprofis. Zudem spielte er in mehreren Filmen mit, hatte eigene Computerspiele (in den 80er-Jahren für Atari) und trat in mehreren Werbefilmchen auf – bekannt geworden ist davon besonders seine Empfehlung für das Einnehmen von Viagra der Firma Pfizer.
Ein Teil seiner ruhmreichen Zeit als Fußballer fiel aber in eine dunkle Zeit für Brasilien. Doch Pelé gab nie ein eindeutiges Statement zur Militärdiktatur (1964 – 1985) ab. Nach dem WM-Erfolg 1970 feierte Diktator Emílio Garrastazu Médici mit den neuen Weltmeistern. Vor allem Pelé herzte er vor den laufenden Kameras. Und der König ließ sich herzen. Das kann man vielleicht als Schönheitsfehler in seiner Vita sehen.
Kommentare