Gourcuff: 645 Tage des Leidens in fünf Saisonen

Gourcuff hat sein Potential auch mit 28 noch nicht völlig ausschöpfen können.
Einst sah man in ihm den Zidane-Nachfolger, heute bemitleidet man ihn - seines Verletzungspechs wegen.

Eigentlich kann er alles: Das Spiel diktieren, das Tempo und die Richtung bestimmen. Er hat das Feingefühl für den tödlichen Pass, seine Standards stellen in der Regel eine Gefahr für das gegnerische Tor dar. Und er kann Tore schießen. Eigentlich hat Yoann Gourcuff alles, was einen großen Mittelfeldspieler, eine Nummer zehn im klassischen Sinne, auszeichnet. Dass er niemals in die Riege der Allergrößten seiner Zunft aufstieg, ist vor allem seiner Fragilität geschuldet.

Am Wochenende verletzte sich Gourcuff in der Partie seines Klubs Olympique Lyon gegen Nizza erneut. Diesmal zwickte der Oberschenkel, weshalb der Spieler eigenwillig vom Platz lief, ohne vorher darüber seinen Trainer Hubert Fournier verständigt zu haben. "Ich hoffe, dass er verletzt ist", kommentierte der sichtlich angesäuerte Fournier die Art und Weise, wie sein Schützling das Feld verließ. Es droht ihm nun eine einmonatige Pause. Seine insgesamt 20. seit seinem Wechsel von Bordeaux zu Lyon im Jahr 2010. Dem gegenüber stehen 19 Tore, die der 28-Jährige für den Verein in dieser Zeit erzielt hat.

Ganze 645 Tage hat Gourcuff seinem Arbeitgeber in den fünf Jahren gefehlt. Zu den anfänglichen Problemen mit der Sehne gesellten sich in seinem zweiten Jahr bei Lyon gröbere Kniesorgen, die in Folge von Knöchel-, Rücken- oder aber Leistenverletzungen abgelöst wurden. Der Vertrag des Mittelfeldregisseurs beim aktuellen Tabellenzweiten der Ligue 1 läuft in diesem Sommer aus. Die Verletzungshistorie, aber auch ein zerrüttetes Verhältnis zum Trainer deuten auf einen Abschied hin.

Geschätzt

Gourcuff: 645 Tage des Leidens in fünf Saisonen
AC Milan's Ronaldo (C) celebrates with his team mates Yoann Gourcuff (L) and Andrea Pirlo after scoring a second goal against Cagliari during their Italian Serie A soccer match at the San Siro stadium in Milan April 21, 2007. REUTERS/Alessandro Garofalo (ITALY)
An Interessenten soll es trotz der Verletzungsanfälligkeit des Spielmachers nicht mangeln. "Seit Samstag rufen mich die Leute an. Man weiß, dass sein Vertrag demnächst ausläuft und welch riesiges Potential er besitzt. Diverse Vereine sind ihm auf den Fersen", behauptet sein Berater Didier Poulmaire und wirkt dennoch ein wenig ratlos. "Die Scouts sagen sich: 'Der Junge besitzt unglaubliches Talent'. In Bordeaux sind ihm wundersame Dinge gelungen, derzeit läuft es aber nicht. Klubs aus England und Italien rufen mich an, sie wollen verstehen können, warum die Maschine aufgehört hat zu arbeiten".
Gourcuff: 645 Tage des Leidens in fünf Saisonen
epa00557280 Stuttgart's Mario Carevic (L) fights for the ball with Stade Rennes' player Yoann Gourcuff during their UEFA Cup soccer match in Rennes, Thursday 20 October 2005. EPA/OLIVIER HOSLET
Die Maschine heulte in der Saison 2005/06 erstmals auf. Als 19-Jähriger machte der Sohn des Fußball-Trainers Christian Gourcuff bei Stade Rennes diverse Spitzenklubs auf sich aufmerksam. Der große AC Milan bekam den Zuschlag, der U19-Teamspieler Frankreichs heuerte im Sommer 2006 bei den Mailändern an. Nach zwei durchwachsenen Jahren kehrte er als Leihspieler nach Frankreich zurück. In der darauf folgenden Spielzeit zog Bordeaux die Kaufoption, blätterte stolze 13,5 Millionen Euro für den Kreativspieler auf den Tisch.

In der Saison 2008/09 führte Gourcuff Girondins zum ersten Meistertitel nach zehn Jahren. Zwölf Tore und elf Torvorlagen steuerte er in 37 Liga-Partien zum großen Erfolg der von Laurent Blanc gecoachten Truppe aus der Weinstadt bei. Als Belohnung für seine Leistungen wurde er zu Frankreichs Fußballer des Jahres gekürt. Nach einer weiteren Saison in Bordeaux wechselte er für 22 Millionen Euro zum Ligarivalen Olympique Lyon.

Anders

Gourcuff: 645 Tage des Leidens in fünf Saisonen
France's Thierry Henry (C) reacts with teammates Yoann Gourcuff (R) and Alou Diarra after scoring his second goal against Tunisia during their international friendly soccer match at the Stade de France stadium in St-Denis near Paris, October 14, 2008. REUTERS/Charles Platiau (FRANCE)
Fünf Jahre danach hat Gourcuff immer noch nicht den ihm prophezeiten Status des absoluten Superstars erreicht. Zu clever und sensibel sei er, heißt es oft. Tatsächlich hat der Besitzer eines Baccalauréats (erster akademischer Grad in Frankreich) im Gegensatz zu vielen Kollegen einen feinen Background. Zudem gilt er als introvertiert, was nicht wirklich dem Ideal des heutigen Fußballers entspricht. Und wohl doch sehr heimatverbunden.

"Einmal saß uns ein gewisser Herr Galliani (Anm.: Milan-Geschäftsführer Adriano Galliani) mit einem Millionen-Scheck gegenüber und sagte: 'Yoann, du musst nach Italien zurückkehren, du hast in Bordeaux nichts verloren'. Dennoch blieb er in Bordeaux", erinnert sich Poulmaire an das große Interesse an seinem Schützling. "Vor zwei, drei Jahren kamen Leute von Manchester City in einem privaten Jet und sagten: 'Wir reden hier vom Fußball-Mutterland. Er muss zu uns kommen'". Auch dieses Angebot schlug Gourcuff aus.

Im Moment wird er wieder vom Verletzungspech geplagt. "Er selbst leidet am meisten", weiß Poulmaire. Manche scheinen den Glauben an die beste Zehn seit Zidane dennoch nicht verloren zu haben. Wenn ihr auch die Zeit davonläuft.

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