Handspiel sorgt für EM-Aufreger: Was gegen einen Elfmeter spricht

Euro 2024 - Quarter Final - Spain v Germany
Die Meinungen der TV-Experten gingen auseinander. Jene von Referee-Boss Rosetti vor der EM war klar und deutlich.

Anthony Taylor ist nicht zu beneiden. Wie vor einem Jahr steht der Schiedsrichter aus England wegen einer ganz entscheidenden Handspielszene international im Fokus.

Erst im Mai 2023 hatte der Unparteiische im Finale der Europa League zwischen dem FC Sevilla und der AS Roma in Budapest ein Handspiel als nicht strafbar gewertet und somit nicht auf Elfmeter für die Italiener entschieden. Sevilla gewann den Titel. Die Bilder, die den damaligen Roma-Coach José Mourinho dabei zeigen, wie er Taylor in den Katakomben des Stadions abpasst und beleidigt, gingen um die Welt. Vor dem Heimflug auf dem Flughafen von Budapest wurde Taylor und seine mitgereiste Familie von Fans nicht nur verbal attackiert.

Nur gut 13 Monate später steht der 45-Jährige aus dem Großraum Manchester schon wieder im Kreuzfeuer. Wieder wegen eines nicht gegebenen Hand-Elfmeters in einem nicht minder brisanten Spiel. Es war die 106. Minute im EM-Viertelfinale zwischen Spanien und Deutschland, als der Profi-Referee, ein früherer Gefängniswärter, beim Stand von 1:1 keinen Strafstoß für die Deutschen verhängte. Jamal Musiala hatte Verteidiger Marc Cucurella an der linken Hand getroffen.

Der Video-Assistant-Referee, ebenso ein Profi aus der Premier League, checkte die Szene und entschied sich dazu, seinen Kollegen nicht zum Bildschirm zu bitten, um sich die Szene noch einmal anzusehen. Der VAR war bei seiner Bewertung offenbar zum gleichen Ergebnis gelangt, wie Anthony Taylor auf dem Platz: Handspiel ja, aber eben nicht strafbar – oder zumindest keine klare Fehlentscheidung.

Die Kriterien

Jetzt stellt sich die Frage: Lagen beide richtig, oder beide falsch? Oder kann es hier auch zwei Meinungen geben? Das Hauptkriterium für ein strafbares Handspiel jedenfalls ist die Position des Armes, verbunden mit der Frage: Hat Cucurella seine Körperfläche unnatürlich vergrößert? Oder war die Armhaltung Cucurellas ganz einfach die natürliche Folge seines Bewegungsablaufes (siehe Regeltext).

Nicht jede Ballberührung eines Spielers mit der Hand/dem Arm ist ein Vergehen.

Ein Vergehen liegt vor, wenn ein Spieler:

  • den Ball absichtlich mit der Hand/dem Arm berührt (z. B. durch eine Bewegung der Hand/des Arms zum Ball),
  • den Ball mit der Hand/dem Arm berührt und seinen Körper dabei aufgrund der Hand-/Armhaltung unnatürlich vergrößert. Eine unnatürliche Vergrößerung des Körpers liegt vor, wenn die Hand-/Armhaltung weder die Folge einer natürlichen Körperbewegung des Spielers in der jeweiligen Situation ist noch mit dieser Körperbewegung gerechtfertigt werden kann. Mit einer solchen Hand-/Armhaltung geht der Spieler das Risiko ein, dass der Ball an seine Hand/seinen Arm springt und er dafür bestraft wird,

Die Meinungen unter den Experten gingen nach Spielende jedenfalls auseinander. Die ehemalige deutsche FIFA-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus stützte als Expertin der ARD ihren Kollegen und legte sich fest: Das Handspiel sei nicht strafbar gewesen. Im ORF vertrat der ehemalige österreichische Bundesliga-Schiedsrichter Thomas Steiner die gegenteilige Meinung.

Für die Richtigkeit der Entscheidung von Anthony Taylor spricht jene Äußerung, die Roberto Rosetti vor der EM getätigt hat. Der Referee-Boss der UEFA hatte vor dem Turnier durch Videobeispiele die angestrebte Linie der Unparteiischen transparent gemacht. Bei einer vergleichbaren Handspielszene aus dem Champions-League-Spiel zwischen Leipzig und Manchester City im Oktober 2023 sagte der Italiener (hier zu sehen): „Das ist niemals ein Elfmeter". 

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