Deutschlands Damen sind die Gejagten

Ein junges deutsches Team könnte Cheftrainerin Silvia Neid in Schweden den achten Titel bescheren.

Talk-Queen Oprah Winfrey hat den Anfang gemacht, Schwedens Kronprinzessin Victoria und Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling folgten. Und seit 2011 gehört auch Silvia Neid zum Klub der Promi-Damen, die es in mehrfacher Ausführung gibt – als Barbiepuppe. „Die Ähnlichkeit ist deutlich erkennbar“, sagte die Teamchefin der deutschen Fußball-Damen, während sie ihre kleine Plastik-Nachbildung kritisch beäugte. Sportlicher schwarzer Blazer, Schal, blonde Kurzhaarfrisur – da gab es nichts auszusetzen. Fast nichts, „nur befürchte ich, dass meine Barbie-Doppelgängerin etwas beweglicher ist als ich“, sagte die damals 47-Jährige und lachte herzlich.

Souverän und sympathisch, so kennt man die deutsche Cheftrainerin, die schon als Kind eher wenig mit Puppen anzufangen wusste. Mehr interessierten sie da schon Autos oder Bälle – zwei Leidenschaften, die ihr bis heute geblieben sind.

Ab Donnerstag kämpft Neid mit den deutschen Damen in Schweden um den Europameistertitel – es wäre der achte EM-Erfolg des Rekordteams und der insgesamt 27. Titel in Neids außergewöhnlicher Sportkarriere.

Frau der ersten Stunde

Deutschlands Damen sind die Gejagten
German Chancellor Angela Merkel talks to Silvia Neid (R), coach of the German woman national soccer team, during a visit to the team hotel in Wolfsburg July 6, 2011. REUTERS/Jesco Denze/Bundesregierung/Handout (GERMANY - Tags: POLITICS SPORT SOCCER) FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS
Wer die Geschichte von Silvia Neid erzählt, muss unweigerlich auch die des deutschen Nationalteams Revue passieren lassen: 31 Jahre gibt es die Damen-Mannschaft des DFB, und nur 40 Minuten musste sie ohne ihre charismatische Protagonistin auskommen. Kurz vor der Halbzeit des ersten offiziellen Länderspiels gegen die Schweiz wurde die 18-Jährige mit einer fragwürdigen Vokuhila-Frisur eingewechselt. 60 Sekunden später traf sie zum ersten Mal für Deutschland.

110 Spiele im Teamdress sollten folgen, bevor Silvia Neid 1996 nahtlos die Seiten wechselte und Co-Trainerin wurde. Was sich seit der Teampremiere 1982 verändert hat? „Ich bin viel älter geworden“, scherzt die gelernte Fleischereifachverkäuferin, die seit 2005 die oberste Frau im Fußball-Staate ist. Laut dem damaligen DFB-Präsident Theo Zwanziger „die beste Entscheidung meiner Karriere“.

Auch die deutsche Frauenfußball-Bewegung ist in den letzten 30 Jahren gereift. Von der belächelten Randerscheinung hat sich der Damen-Kick zum Publikumsmagnet entwickelt. Mehr als 46.000 Zuschauer waren dabei, als bei der EM-Generalprobe gegen Japan Ende Juni die Revanche für das Viertelfinal-Aus bei der Heim-WM 2011 gelang (4:2).

EM-Ziel: Halbfinale

Vergessen sind die bitteren Stunden in der Heimat vor zwei Jahren nicht. „Aber abgehakt“, sagt die Bundestrainerin, die mit Rücktrittsgedanken gespielt hatte, nachdem es Deutschlands Damen 2011 zum ersten Mal in der Geschichte nicht ins Halbfinale geschafft hatten. Nun gilt die Konzentration der neuen Herausforderung in Skandinavien. Für den siebenten Titel in Folge winken jeder Spielerin 22.500 Euro.

„Wir wollen unter die besten vier Mannschaften kommen“, sagt Neid, die nicht ganz freiwillig mit einem deutlich verjüngten Team (Schnitt 23,5 Jahre) am Sonntag die Reise nach Schweden antrat. Sechs Stammkräfte fielen verletzungsbedingt aus: Kim Kulig, Viola Odebrecht, Verena Faißt, Babett Peter, Linda Bresonik und Alexandra Popp galt es zu ersetzen. Dennoch zählt Deutschland neben Frankreich, Schweden und England zu den großen Favoriten. Neid ist mit der Vorbereitung zufrieden („Wir hatten viel Spaß“), und auch die Gruppenphase verspricht mit den Niederlanden, Island und Norwegen vermeintlich lösbare Aufgaben für die junge Mannschaft, in der nur noch zehn Spielerinnen von 2011 dabei sind.

Vielleicht ist das aber auch ein gutes Omen.

Am Mittwoch startet in Halmstad mit dem Spiel zwischen Italien und Finnland (18 Uhr) die elfte Fußball-Europameisterschaft der Frauen. Auch die Gastgeberinnen greifen am ersten Tag mit der Partie gegen Geheimfavorit Dänemark (20.30 Uhr) ins Geschehen der Gruppe A ein.

Schweden gewann 1984 die erste EM und hofft, nach 29 Jahren im eigenen Land wieder erfolgreich sein zu können. Doch auch die dänischen Teilnehmerinnen rechnen sich Chancen auf eine Sensation aus. Klar ist: An Titelverteidiger Deutschland führt kein Weg vorbei. Auch wenn die deutschen Damen ersatzgeschwächt in das Turnier gehen, wollen sie den Triumph von 2009 in Finnland wiederholen. Seit 20 Jahren wurde kein Spiel bei einer EM verloren. Zudem warten in Gruppe B mit Norwegen, den Niederlanden und Island vermeintlich leichte Auftaktgegner.

Zum engeren Favoritenkreis dieses Turnieres zählen die spielstarken Französinnen. Das Team von Coach Bruno Bini kam jedoch noch nie über das Viertelfinale hinaus und hofft vor allem auf Tore der quirligen Camille Abily. In Gruppe C bekommen sie es zunächst mit England und dann mit Russland und Spanien zu tun.

Anders als in den Turnieren zuvor gilt England diesmal nur als Außenseiter. Die ersten beiden Teams sowie die zwei besten Dritten qualifizieren sich für das Viertelfinale. Im Gegensatz zu Weltmeisterschaften gibt es allerdings kein Spiel um den dritten Platz mehr. Das Endspiel steigt am 28. Juli in Solna.

Gruppe A, MIttwoch, 18.00: ItalienFinnland. 20.30: SchwedenDänemark.

Gruppe B, Donnerstag, 18.00: NorwegenIsland. 20.30: DeutschlandNiederlande.

Gruppe C, Freitag, 18.00: FrankreichRussland. 20.30: EnglandSpanien.

Die Gruppenersten und -zweiten und die zwei besten Dritten steigen ins Viertelfinale (21./22. Juli) auf. Semifinale: 24./25. Juli,

Finale: 28. Juli.

Eurosport überträgt live

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