Fortschritte und Enttäuschungen: Schnaderbeck zieht EM-Zwischenbilanz

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Fußball-Expertin Viktoria Schnaderbeck zieht vor dem Start der K.o.-Phase Bilanz. Wer hat überzeugt, wer enttäuscht? Was fällt auf?

Wenn Norwegen im ersten Viertelfinale der EM 2025 heute Abend (21 Uhr/live ORF 1) auf Italien trifft, ist es für beide Teams eine Rückkehr. Beide waren seit 2013 in keiner K.o.-Phase mehr.

Als Gewinner kann sich nach der Gruppenphase bereits Gastgeber Schweiz bezeichnen. Nicht nur wegen des – nicht selbstverständlichen – Aufstiegs der „Nati“ ins Viertelfinale, sondern auch wegen fast durchwegs ausverkaufter Stadien, guter Stimmung und familiärer Atmosphäre. 

ORF-Expertin und Ex-Teamkapitänin Viktoria Schnaderbeck zieht nach der Gruppenphase Bilanz für den KURIER.

Gastgeber Schweiz

„Die Schweiz will ein Erlebnis für alle schaffen, nicht nur für sich.“ Es sind spannende Spiele, was natürlich dazu beiträgt, dass die Stimmung gut ist.“ Hinzu komme, dass die Zuschauer im Zuge des Turnierbesuchs durch die Schweiz reisen. „Auch für den Tourismus ist das ein  wichtiger Punkt.“ Das Land habe "extrem viele Sympathie-Punkte" gesammelt. Schnaderbeck sieht den Vorteil für den Sport: „Allein durch die Veranstaltung einer Heim-EM hat die Schweiz uns jetzt  einen Schritt voraus.“ Denn es gehe um mehr als den Kader. „Es geht um  das Trainerteam, den Verband, das  Commitment.“ Man werde in den nächsten Jahren spüren, dass die Schweiz Schritte machen kann, die in Österreich nicht möglich sind.

Wo würde Österreich stehen?

„Von der Mannschaft her könnten wir uns mit Polen, mit Portugal, Belgien, auch der Schweiz messen.“ Aber  für Österreichs Kaderqualität habe das Team zuletzt nicht am absoluten Maximum performt. Bei den beiden letzten Turnieren habe das ÖFB-Team bestätigt, eine Turniermannschaft zu sein, die sich steigern kann.  „Vielleicht wäre aber dieses Turnier genau das, was wir gebraucht hätten, uns zu steigern.“ Die Chance, das zu beweisen, habe man im Vorfeld aber verspielt. „Mit den Leistungen, die wir zuletzt gezeigt haben, hätte es aus meiner Sicht nicht gereicht.“

Eine mögliche EM in Österreich

„Diese Frage müssten wir dem Verband stellen, ob eine Bewerbung überhaupt denkbar wäre. In der Vergangenheit wurde das immer wieder als Ding der Unmöglichkeit abgetan.“ Selbstverständlich sei das ein enormer Aufwand. Von der Infrastruktur, meint Schnaderbeck, hätte Österreich  die Möglichkeit. „Eine EM würde uns sportlich und gesellschaftlich guttun. Das große Aber: Ich glaube nicht, dass die beteiligten Personen aktuell die Bereitschaft hätten, in das auch zu investieren. Denn natürlich wäre das  ein Investment.  

Die Favoritinnen

Dass Frankreich einen „unglaublichen Kader“ und eine gute Qualität hat, habe Schnaderbeck gewusst. „Das wissen wir seit gefühlt zehn Jahren. Aber sie haben mich als Team überrascht – unter anderem mit einer kollektiv starken Defensivleistung.“ Aber auch offensiv hätten es die Französinnen in der Hand, das Spiel zu machen.

England werde zu Recht als Favorit gewertet. Die Titelverteidigerinnen hätten nach einem „holprigen Start“ gezeigt, wozu sie in der Lage sind. „Sie haben extrem reife, souveräne Leistungen hingelegt“, sagt die Ex-Arsenal-Legionärin.

Spanien gefalle ihr sehr gut. „Eine Mannschaft, die uns den Fußball präsentiert, den wir sehen wollen. Es ist einfach schön zuzuschauen. Da gibt es viele Tore. Ferserl hier, Doppelpass da. Das ist Fußball auf höchstem Niveau.“ Die Spanierinnen seien aber „noch nicht wirklich gefordert worden“ in der wohl leichtesten Gruppe der EM. Deswegen habe man zwar offensiv sehr viel gesehen. Defensiv seien sie allerdings nicht wirklich geprüft worden.

Von Deutschland hingegen zeigt sich die Expertin enttäuscht. Sie spricht von einer „unsicheren und instabilen Defensive“. Gute Momente, schöne Tore, teilweise gute individuelle Leistungen, aber nach drei Spielen unterm Strich ist es dann irgendwie zu wenig. „Man spürt auch, dass das ein Team ist, das will. Aber man sieht auch leider, dass da zu viele Spieler am Platz stehen, die auf dem Top-Niveau riesige Probleme in der Defensive haben.“ In der Offensive kommen sie dadurch oft nicht so zur Geltung. „Ihnen sind ein bisschen die Grenzen aufgezeigt worden. Ich bin echt ganz gespannt, wie sie das jetzt im nächsten Spiel beheben wollen.“

Das beste Team

Das beste Team Spanien (mehr Infos hier)

Die Überraschungen

Die Aufsteigerinnen aus den Gruppen seien fast alle zu erwarten gewesen. Auch wenn es für die Polinnen nicht gereicht hat – sie hätten gezeigt, dass sie zu mehr imstande sind, als ihnen zugetraut wurde. Das habe sich schon im Play-off gegen Österreich abgezeichnet. 

Norwegen habe die Fußball-Expertin hingegen enttäuscht. „Schwer zu verstehen, wie aus so einer guten Mannschaft, oder so guten Einzelspielerinnen so wenig Leistung rausschauen kann.“ 

Ebenso seien die Niederländerinnen enttäuschend gewesen: „Sie waren für mich defensiv schlecht. Teilweise – etwa gegen Frankreich – sehr passiv. “ Das könnte das Ende einer Ära sein, meint Schnaderbeck.

Top Spielerinnen

Top Spielerinnen der EM-Gruppenphase (mehr Infos hier)

Welche Spielerinnen sich ins Rampenlicht gespielt haben

Carlotta Wamser wird sich wohl immer noch ärgern, dass sie das Hands auf der Torlinie im Spiel gegen Schweden ausgepackt hat. Dabei war die deutsche Offensivspielerin als Ersatz für Kapitänin Giulia Gwinn so gut in diese EM gestartet. Die 21-jährige Stürmerin von Bayer Leverkusen  leitete etwa  durch ihren Assist auch das 1:0 gegen Schweden ein.

Ins Rampenlicht gespielt hat sich auch Norwegens Signe Gaupset, insbesondere im letzten Gruppenspiel. Mit erst 20 Jahren habe sie „die internationale Bühne als Chance genutzt“, so Viktoria Schnaderbeck. 

Positiv sei die gute Leistung auch von der zweifachen Weltfußballerin Alexia Putellas (31) herauszuheben. „Das war nicht selbstverständlich“, meint Schnaderbeck. Nach ihrer schweren Knieverletzung sei sie nicht immer in Topform gewesen. In der Schweiz habe sie aber gezeigt, wozu sie in der Lage ist. Sie scheint das Turnier zu genießen, sei allerdings mit ihrem Team noch nicht sehr stark gefordert worden. 

Außerdem hebt TV-Expertin Viktoria Schnaderbeck die überraschend starke Schweizer Offensive rund um die junge Barcelona-Legionärin Sydney Schertenleib (18) und Geraldine Reuteler (26) hervor. Reuteler zeige nicht nur Konstanz und Mentalität in den richtigen Momenten, sondern auch eine starke Defensivleistung.

Alexia Putellas Statistik

Alexia Putellas Statistik (mehr Infos hier)

Was aufgefallen ist

Auffällig im Spiel der Frauen sind die VAR-Entscheidungen. „Wir Spielerinnen haben uns alle den VAR gewünscht“, erinnert Schnaderbeck. Auch wenn es manchmal schneller gehen könnte. 

Außerdem fallen mehr Tore: „Viele schöne Tore!“ Anders als vor einigen Jahren seien die nicht auf Torfrauenfehler zurückzuführen. „Die gibt es kaum noch.“

Dazu komme, dass immer mehr Teams auf Augenhöhe spielen. Das liege vor allem am Professionalisierungsgrad in den einzelnen Ländern. „Überall passiert etwas in Sachen Frauenfußball. Das macht sich bemerkbar.“

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