Diese Geschichte erschien im KURIER im Rahmen der Fußball-WM 2006 in Deutschland.
Der Tag wird kommen. Irgendwann. Irgendwo. Einmal muss es passieren. Vielleicht in der Ehrenloge in Kaiserslautern. Oder beim Händeschütteln in Leipzig. Möglicherweise auf der Toilette im Westfalen-Stadion.
Dann wird Franz Beckenbauer plötzlich Franz Beckenbauer über den Weg laufen. Sie werden sich vielleicht kurz wundern, die zwei, dann einander aber doch die Hand geben, tuscheln und gegenseitig versichern, wie sensationellsupertoll diese Weltmeisterschaft doch ist. Genau so, wie es das kaiserliche Hof-Zeremoniell vorsieht.
Franz Beckenbauer ist überall. Bei jedem Spiel. In jedem Stadion. Vor jeder Kamera. Wer Franz nicht leiden kann, hat derzeit ein Problem. Es gibt kein Entrinnen, Widerstand zwecklos. Man müsste sich schon vier Wochen im Keller einsperren. Vielleicht gibt es auch noch Gegenden, in denen man den Kaiser nicht kennt. Auf einer kleinen Insel, irgendwo im Pazifik.
Dort aber, wo WM ist, da kann der Franz nicht weit sein. Wenn der Anpfiff ertönt, dann ist auch er am Ball. Dann beckenbauert es wieder.
In Frankfurt hat er neben Prinz William Platz genommen. Eineinhalb Stunden später klopft er in Dortmund schwedischen Funktionären auf die Schulter. Dann taucht er in Hamburg auf und herzt Freunde von der Elfenbeinküste. Alles an einem Tag, alles binnen fünf Stunden.
Es kann nicht nur einen geben.
Wie macht er das bloß? Wie kann er eben da sein, dann sofort dort, mal in Dortmund lachen, dann wieder in Berlin plaudern. Hat Franz Beckenbauer einen Doppelgänger? War das Klon-Schaf Dolly gar nur ein Testversuch für den Klon-Kaiser? Oder noch schlimmer: Der Kaiser, ein kleiner Franzenstein?
Die Lösung heißt Augusta 109, Power E.
Radfahrwerk, Pratt & Whitney Turbinen, zwei Triebwerke, 1280 PS, Durchschnittsgeschwindigkeit 300 km/h, Reichweite 900 km. Ein Hubschrauber für besondere Momente und wichtige Menschen. Menschen wie Franz Beckenbauer.
Erst die Augusta macht ihn zu Franz Dampf in allen Stadien. Da sitzt er dann drinnen, auf einer VIP-Bestuhlung aus Leder, und sieht sich die Welt von oben an. Seine Welt, sein Kaiserreich.
Deutschland ist seine WM, er allein ist der Grund, warum jetzt Fußball gespielt wird in München, Berlin und Leipzig. Als Dank hat man ihm die Augusta gegeben. Und Hans Ostler, einen Piloten. Denn Fliegen ist eines der wenigen Dinge, die er noch nicht kann, der Franz.
Drei Spiele will Franz Beckenbauer sehen. Pro Tag. Dafür fliegt er quer durch Deutschland. 315 km Luftlinie sind’s von München nach Frankfurt, 336 von Nürnberg nach Köln, 298 von Hamburg nach Leipzig. Selten geht sich’s aus, oft kommt er zu spät, immer muss er früher weg. Der Hubschrauber wartet schon, der nächste Termin auch. Dann hebt er wieder ab. Verschwindet so schnell, wie er aufgetaucht ist. Destination unbekannt
„Manchmal weiß ich nicht mehr, wo ich gerade bin“, sagt er. Und lacht. Es ist sein Lachen. Unverkennbar. Unnachahmlich. Die Deutschen mögen sein Lachen, sie schätzen seine joviale Art. Nehmen ihn, wie er ist, nehmen ihm nichts übel.
Niemand hob den Zeigefinger, als er mit 55 seine Frau verlassen hat. Wegen einer Jüngeren. Wegen eines Babys, gezeugt angeblich bei der Weihnachtsfeier des FC Bayern. Sie haben ihn nicht geschimpft, die Deutschen, im Gegenteil: Sie haben ihn bewundert, den Kaiser. Er in seinem Alter. Noch so dynamisch. Na bumm.
Nach der WM will er sich eine Auszeit nehmen. Leiser treten, heiraten, Verkehrsmittel tauschen. Kinderwagen statt Hubschrauber. Der Alt-Vater will seinen Kindern Joel und Francesca beim Wachsen zuschauen.
Sein Fußball-Kind, die WM, ist schon ganz schön selbstständig. Franz Beckenbauer fühlt sich besser jetzt. Das bisserl Hubschrauber-Fliegen, das bisserl Smalltalk, das stört ihn nicht. „Es ist ruhiger geworden“, sagt er. Vor der WM war’s schlimmer. Viel schlimmer. 31 Länder hat er in den letzten Monaten bereist. Er ist zigmal um die Erde geflogen. Öfter als so manche Stewardess.
Der Tag wird kommen. Irgendwann. Irgendwo. Einmal muss es passieren.
Vielleicht in der Ehrenloge in Kaiserslautern. Oder beim Händeschütteln in Leipzig. „Irgendwann“, sagt Franz Beckenbauer. „irgendwann werde ich mir wieder in Ruhe ein Fußballspiel anschauen“.
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