„Die Liga ist übersät von Spielern mit extremer individueller Qualität.“
Wenn Barnsley-Coach Gerhard Struber über Englands Championship spricht, ist klar, dass das keine normale zweite Liga ist: Die meisten Spiele (46), die meisten Stars (wie Wayne Rooney), der größte Kapitaleinsatz (Fulham wird auf einen Marktwert von 150 Millionen Euro taxiert).
Klar, dass der 43-Jährige trotz seiner Erfolge mit dem WAC diese Chance ergreifen wollte. Obwohl Barnsley als Letzter mit dem billigsten Kader als logischer Absteiger galt. Seit dem Wechsel am 19. November um eine Million Euro Ablöse hat Struber von 22 Spielen acht gewonnen. Barnsley hält zehn Runden vor Schluss bei 34 Zählern. „Normal reichen 45 bis 48 für den Klassenerhalt. Heuer braucht man wohl 50“, rechnet der Salzburger.
Erstmals seit dem Amtsantritt nimmt sich Gerhard Struber Zeit für ein längeres Zeitungsinterview - und gewährt dem KURIER Einblicke in Arbeit und Leben eines Trainers.
KURIER: Barnsley erfasst Fußball durch Datenanalyse, Sie haben mit Ihrer Spielidee in den Raster gepasst. Seit wann besteht Kontakt?
Gerhard Struber: Wir haben uns vor zwei Jahren erstmals getroffen. Sie sind extra nach Barcelona geflogen, um mich im Urlaub kennenzulernen. Ich bin von Liefering aber nicht gewechselt, weil ich die Pro-Lizenz-Ausbildung fertigmachen wollte. Seither waren wir in Kontakt.
Sie setzen als System auf ein 4-4-2 mit Raute. Wie haben Sie das trotz der fehlenden Winterpause eingeübt?
Wir haben jede Minute genutzt, um mit den Spielern zu arbeiten, viel mit Videos. Wir haben unglaublich viel Zeit in die Abläufe innerhalb der Raute investiert. Dann haben wir aber nach etwa sieben Spielen etwas bemerkt.
Was denn?
Wir gelten mit dem Pressing als Ausnahme. Die Gegner stellen sich sehr schnell ein. Jeder Verein hat ein riesiges Analyse-Department. Da arbeiten zwischen vier und zwölf Leute nur daran, dich in Einzelteile zu zerlegen. Wir haben daraus gelernt, dass es nur mit Raute nicht gehen wird. Jetzt spielen wir fluid, alles durch von Dreierkette bis Dreiersturm, aber unsere Prinzipien bleiben gleich.
Ist die Championship wirklich so hart wie ihr Ruf?
Es ist eine unglaubliche Beanspruchung. Es geht Schlag auf Schlag, du musst immer Leistung abliefern, um zu bestehen. Dazu kommt, dass der Kader jung, sehr talentiert, aber auch der kleinste ist. Ich muss Spieler entwickeln und Ergebnisse liefern.
Was ist der größte Unterschied zum WAC?
Die WAC-Mannschaft war viel reifer. Was mir aber hilft, ist die Erfahrung aus den Europacup-Wochen, wie ich das Training steuern kann.
In Wolfsberg ist man sauer, weil Sie nach Ritzmaier auch Sollbauer geholt haben. Gehört das zum Business?
Gerade weil der Fußball so viele Emotionen auslöst, wäre es besser, durchzuschnaufen, bevor man Meldungen loslässt, die in keiner Weise gerechtfertigt waren. Es war nie ausgemacht, dass Sollbauer kein Angebot bekommt. Der WAC hätte auch Nein sagen können, hat dem Michi dann aber diese große Chance ermöglicht und dafür viel Geld bekommen. Es gab am Ende nur Gewinner. Es ist nicht gerechtfertigt, mich als Schuldigen hinzustellen.
Das klingt nach Streit.
Nein, das Thema ist für mich erledigt, und ich bin dem WAC nicht böse, sondern für immer dankbar. Ich glaube, dass es Präsident Dietmar Riegler mittlerweile auch wieder locker sieht.
Ebenso emotional war Ihre Auseinandersetzung mit Andy Marek, als er Ihnen „Hoit die Papp’n“ erwiderte. Da hat es mit der Aussprache schneller funktioniert, oder?
Für mich war es gleich erledigt. Wir dürfen uns im Fußball unsere Emotionen nicht nehmen lassen. Aber der Andy hat mich dann noch angerufen und sich für seinen Sager entschuldigt. Ich wünsche ihm alles Gute, besonders für seine Gesundheit!
Ich habe gewusst, wie schwierig die Aufgabe ist. Was ich nicht geglaubt habe, ist, dass wir richtig gut punkten und trotzdem in der Abstiegszone festhängen würden. Wir wären seit meinem Antritt auf Tabellenplatz 10, aber es punkten alle. Das Ganze ist besonders für junge Spieler unglaublich energieraubend.
Wie erleben Sie den Umgang mit dem Abstiegskampf in den Medien und bei Kollegen?
Die Medien erlebe ich als fair, kritisch und mit Know-how ausgestattet. Es wird vom „Miracle“ geschrieben – wir werden als Wunder bezeichnet. Unsere Fans glauben fest an den Klassenerhalt, Sir Alex Ferguson hat uns nach dem 3:0 gegen Fulham einen Award für die Spielweise verliehen. Die Trainerkollegen strahlen alle Ruhe, Hoffnung und Glaube aus. Keiner verfällt in Aktionismus.
Wussten Sie, dass Sie bei Ihrer Verpflichtung von Barnsley-Fans mit Harry Potters Gegenspieler Lord Voldemort verglichen wurden?
Soll ich ein Bösewicht sein? (lacht) Nein, das hab’ ich nicht mitbekommen. Ich bin zwar privat auf Social Media, aber wichtiger ist mir der direkte Austausch mit Fans bei den organisierten Fan-Stammtischen.
Bringen Sie alle Botschaften detailliert auf Englisch an?
Ich habe am Anfang gemerkt, dass es besonders aus der Emotion heraus in den Halbzeitpausen schwer war, den Spielern detailliert weiterzuhelfen. Das ist aber mein Anspruch als Trainer. Da hat mir mein Staff mit insgesamt 15 Leuten sehr geholfen. Ich habe etwas Wichtiges gelernt.
Und zwar?
Auf die wichtigsten Botschaften reduzieren! Die Jungs haben den Spielplan immer verstanden, aber ich kann noch nicht wie auf Deutsch in Bildern meine Botschaften vermitteln. Ich werde jeden Tag besser, und mittlerweile verstehen auch alle meinen Dialekt (lacht).
Wie lebt es sich erstmals alleine im Ausland?
Das ist die größte Schwierigkeit. Es ist wirklich zach, eine echte Herausforderung. Ich komme ganz wenig heim und vermisse den Alltag mit meiner Familie.
Gibt es Pläne, dass die Familie nach England zieht?
Meine Frau und ich sind hin- und hergerissen. Mein Dirndl maturiert nächstes Jahr, der Bub ist ein überzeugter Kicker in der U 11 von Salzburg. Es wäre schon ein hoher Preis, sie aus ihrer Umgebung rauszureißen. Ich hoffe, wir treffen im Sommer die richtigen Entscheidungen.
Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Vor fünf Jahren hat mich das Oliver Mintzlaff von Red Bull gefragt, ich habe gesagt: „Im Ausland.“ Mein Ziel ist es, mich auf hohem Niveau den geilsten Herausforderungen zu stellen. Das muss nicht unbedingt ein Großklub sein, obwohl ich irgendwann gerne um Titel spielen würde. Jetzt zählt nur der Klassenerhalt!
Der Spieler
Gerhard Struber wurde am 24.1.1977 in Kuchl geboren. Der zweifache Vater spielte in Salzburg, bei Admira, LASK und mehreren Zweitligisten. Der Mittelfeldspieler kam auf drei Partien für Österreichs U-21-Team.
Der Trainer
Mit 30 Jahren begann Struber als Trainer im Nachwuchs von Salzburg. 2017 folgte der Aufstieg zu Liefering. Im Juli 2019 begann die erste Bundesliga-Station beim WAC. Der größte Erfolg war das 4:0 der Wolfsberger in Gladbach. Am 19. November folgte um eine Million Euro Ablöse der Wechsel zu Barnsley, den damaligen Letzten der zweiten Liga.
Barnsley-Coach Gerhard Struber zählt zu einer Gruppe, die überschaubar ist, aber deutlich angewachsen ist: Trainer mit österreichischem Pass, die im Ausland mit erwachsenen Profis arbeiten.
Eine Liga über Struber hat sich Ralph Hasenhüttl etabliert. Der 52-Jährige macht mit Southampton im Abstiegskampf der Premier League erneut gute Figur.
Andreas Herzog ist derzeit der einzige Teamchef, der 51-Jährige kämpft mit Israel im Play-off noch um eine EM-Teilnahme.
In Deutschlands Bundesliga sind Adi Hütter (Frankfurt) und Oliver Glasner (Wolfsburg) Konkurrenten. In der Regionalliga (4. Spielklasse) hat Rolf Landerl mit Lübeck Platz eins übernommen.
In Slowenien formte Slobodan Grubor, der frühere Assistent von Zoran Barisic, Aluminij zu einem Spitzenteam der Liga.
Heimo Pfeifenberger übernahm Suduva in Litauen. Goran Djuricin wurde von Fredy Bickel vor drei Wochen zu Grasshoppers in die 2. Schweizer Liga geholt.
Osim-Intimus Mischa Petrovic wurde zum Japan-Spezialisten und coacht aktuell Sapporo. Ex-Ried-Coach Lassaad Chabbi ist mit Monastir Dritter in Tunesien.
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